Taq 24: Villafranca del Bierzo – Las Herrerías (15.06.2017)

Genau wie der Camino selber geht mein Stimmungsbarometer rauf und runter. Während ich mich gestern noch gefragt habe, ob ich nicht besser nach Hause fahre, finde ich heute wieder zum alten Schwung zurück. Anders als bisher habe ich heute überhaupt keinen Plan, wo ich die Nacht verbringen werde. Ich habe mir für heute kein Tagesziel gesteckt.

Die Strecke, die ich heute vor mir habe, ist mir von meinem letzten Camino noch in deutlicher Erinnerung. Der Weg teilt sich am Ortsausgang von Villafranca. Der Hauptweg führt an der Straße entlang. 2006 bin ich hier gegangen, an der Nationalstraße, die wenigstens durch eine Betonmauer abgesichert war. Der Verkehr war nervtötend. Das möchte ich nicht mehr wiederholen. Also keine Frage: Ich nehme den steilen Anstieg in Kauf und damit einen kleinen Umweg von zwei Kilometern.

Der Anstieg ist knackig, aber nicht von sehr langer Dauer. Nach etwa einer halben Stunde führt der Weg bereits ein wenig flacher nach oben. Es ist so friedlich hier oben, man hört nur die Vögel und das Knirschen der eigenen Schritte auf dem Schotterweg. Beseelt hole ich mein Handy aus der Tasche. Ich möchte meine Schritte und das Klacken meiner Wanderstöcke aufnehmen.

Die Welt scheint sich hier oben überhaupt nicht weiter zu drehen. Ich verliere vollkommen das Zeitgefühl und kann es kaum glauben, als ich nach einem steilen Abstieg schon wieder auf dem Hauptweg in Trabadelo lande. Die nächsten Ortschaften folgen recht kurz hintereinander: Ambasmestas, Vega de Valcarce. Dort treffe ich Tina, die glücklich ist, weil sie gerade einen Franzosen aus ihrer Camino-Familie nach zehn Tagen wieder getroffen hat. Der weitere Weg nach Ruitelán wird mir verkürzt durch einen Basken, der recht gut Englisch spricht und schon viele Caminos gegangen ist. Ein sehr freundlicher Mensch, der mich mit 4 Küsschen verabschiedet. In Ruitelán kehrt er wohl jedes Mal ein.

In Las Herrerías überreden mich die gemalten Schilder einer kleinen Yoga- und Meditations-Oase und die oben abgebildete Now-Uhr zum Bleiben.

Es ist Mittag, ich bin der erste Übernachtungsgast im Schlafsaal der nahe gelegenen Casa Lixa. Der Haushalt – Duschen, Wäsche waschen, Wäsche aufhängen – ist bald erledigt. Ich habe jede Menge freie Zeit vor mir. Der Ort, in dem ich für heute gestrandet bin, ist sehr überschaubar. Das einzig Interessante für mich ist die Yoga-Oase und das dazugehörige Haus ohne Fensterscheiben mit der Now-Uhr. Da die Tür offen steht und es sehr einladend aussieht gehe ich hinein und bekomme auch gleich einen Tee angeboten. Richard, ein Amerikaner, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Camino-Spirit mit Hilfe seines Project Brigid in die Welt zu tragen (http://www.projectbrigid.org/), erzählt mir von seinem Projekt und fragt mich ganz spontan, ob ich nicht am Abend eine Yogastunde unterrichten mag. Klar mag ich!

Als ich am Abend wiederkomme, sind fünf junge Leute da, die noch nie Kundalini-Yoga gemacht haben, aber äußerst neugierig sind. Während der Stunde höre ich auf einmal im Bach hinter mir ein lautes Platschen. Erst denke ich, dass da Leute baden. Erst nach der Stunde erfahre ich, dass da gerade ein Pilger von einem amerikanischen Priester getauft worden ist. Wir unterhalten uns noch sehr lange. Ich mag die Neugierde und Entdeckerlust der jungen Leute und fühle mich inspiriert. Was wohl der Weg noch so alles bereithalten mag? In einer Woche werde ich voraussichtlich in Santiago ankommen. Aber darüber mag ich heute nicht nachdenken.

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