Es gibt Unterkünfte auf dem Camino, in denen man sein Haupt nicht ganz ruhigen Gemüts bettet und man froh ist, dass man am nächsten Morgen die Herberge verlässt. Gerne dann auch mal ohne Frühstück. Mir jedenfalls geht es so. Nichts gegen La Trucha, das Essen von Alvaro war super und frisch zubereitet. Aber ein Hygiene-Bettbezug hätte mich beruhigt. Mag sein, dass ich da ein bisschen pingelig bin. Immerhin habe ich – dreimal auf Holz klopfen – noch keine Erfahrungen mit Bettwanzen gemacht. Aber worüber soll man sich sonst noch Sorgen machen, wenn man ansonsten nur wenig an Gepäck mit sich herumschleppt. So ein bisschen Sorgen machen scheint meine Basisschwingung zu sein.
Ich verlasse also heute ohne Frühstück die Herberge, überquere die Landstraße in Richtung der Ermita de Nuestra Señora de Agavanza etwa zwei Kilometer vom Ort entfernt. Eine Kirche, ein kleines Natursteinhaus und Picknickplätze. Das wäre ein schöner Ort für eine Herberge, denke ich augenblicklich, und dass man sich auf dem Camino Francés eine solche Gelegenheit nicht hätte entgehen lassen. Aber der Camino Sanabrés ist ein anderer Weg. Hier gehen nicht so viele Menschen. Und deshalb sieht auch niemand die Notwendigkeit, diesen Ort für Pilger zu öffnen.
Wenig später bin ich wieder mitten in der Realität. Die Sierra de Culebra brennt immer noch. In nicht allzu großer Ferne sehe ich mehrere größere Brandherde und Rauchsäulen in Richtung Himmel steigen. Über den Stausee der Nuestra Señora del Avaganza legen sich schwarze Rauchschwaden vor einen glühenden Feuerball.
Ich bin zu dem Zeitpunkt nicht wirklich beunruhigt, weil das Feuer immer noch in sicherer Entfernung scheint und zwischen mir und den Brandherden der Stausee liegt. Der See ruht still, auf dem Weg am See entlang begegne ich einem Rentner, der ebenfalls nicht sonderlich aufgeregt scheint. Kurz vor Villar de Farfón deutet ein Hinweisschild auf eine Bar hin. Das Dorf ist halb verlassen und verfallen. Aber irgendjemand – oder vielleicht jemand Bedeutendes – hat sich hier einen pompösen Neubau hingestellt, der in dem Setting ein wenig absurd wirkt. Kurz dahinter, am Ortsausgang, treffe ich auf die Albergue Rehoboth. Es ist ein Donativo, das von dem südafrikanischen Missionars-Paar Craig und Dorothy geführt wird. Mehr noch: Sie haben das verfallene Natursteinhaus mit eigenen Händen wieder aufgebaut. Missioniert haben sie in Afrika und Indien, bevor sie sich hier auf dem Camino niedergelassen haben.
Ich nehme dankend einen Kaffee gegen Spende an und fühle mich ein wenig unangenehm berührt durch Craigs missionarischen Eifer und seine Auseinandersetzung mit der Corona-Politik. Als er auf die Wunder von Jesus Wirken zu sprechen kommt, wird es für mich eigentlich interessant, aber da tauchen zwei österreichische Fahrradpilger auf, womit das Gespräch mit Craig zwangsläufig beendet ist. Schade. Ich bedanke mich, lasse eine Spende für Kaffee und Kekse zurück und mache mich wieder auf den Weg.
Nach etwa einer Stunde überholen mich kurz vor Rionegro del Puente die beiden Österrreicher. Kurze Zeit später sitzen sie genau in der Bar, die ich für mein Frühstück angepeilt habe. So geht das in einem fort auf dem Camino. Man trifft sich immer wieder, unterhält sich eine Weile, trennt sich wieder, um sich dann doch an einem Tisch in irgendeiner Bar wiederzufinden. Mein slowenischer Pilgerfreund Gorazd hat sich natürlich auch hier eine Pause genehmigt. Bis Mombuey sind es von hier aus nur noch etwa zwei bis zweieinhalb Stunden.
Raus aus dem Ort zeigt sich mir zum ersten Mal das Ausmaß des Großbrandes und der Ernst der Lage. Der Weg führt nördlich parallel zur A-52 und zur Nationalstraße N-525. Südlich der Straßen befindet sich der Stausee und dahinter unzählige Feuerherde und Rauchsäulen. Die ganze Zeit über sind Löschflugzeuge und Hubschrauber in der Luft. Es weht ein kräftiger Wind, der Rauch setzt sich mir unangenehm auf die Bronchien. Doch was sind schon meine eigenen kleinen Befürchtungen gegen die Ängste der Menschen, die hier leben, für die das Feuer hier eine Katastrophe ist, die ihre ganze Existenz bedroht. Ganz zu schweigen von den Wildtieren, die, sofern sie es können, in Scharen und in Panik flüchten.
In Mombuey, wo wir für heute in einer kleinen Herberge unterkommen, warnen uns die Anwohner vor. Wir sollen uns bereit halten, weil es sein könnte, dass das Dorf in der Nacht evakuiert wird. Villar de Farfón und Rionegro werden bereits geräumt. Es steht spitz auf Knopf. Das Feuer greift mittlerweile von zwei Seiten an. Von Süden her ist noch ein Stausee zwischen uns und dem Feuer. Aber der Wind lässt nicht nach. Und die Aschepartikel, die dann und wann auf uns landen, könnten auch Glut tragen. Die Leute in Mombuey sind aufgewühlt. Ich frage mich, wo die anderen Pilger sind, die ich zuletzt gestern Mittag in Santa Marta gesehen habe. Und ich denke auch an Craig und Dorothy. Ich hoffe, sie alle sind in Sicherheit.