Tag 25: Las Herrerías – Triacastela (16.06.2017)

Immer wieder aufs Neue erstaunt es mich, wie gut ich in den Herbergen schlafe. Und gerade dann, wenn ich die schlimmsten Befürchtungen wegen möglicher Schnarcher habe, scheint die Nacht ganz besonders ruhig zu werden. Gestern Nachmittag ist die niederländisch-spanische Diabetes-Gruppe in der Casa Lixa eingefallen. Nun weiß man ja, dass Gruppen zuweilen ziemlich aufgekratzt und beinahe zwangsläufig etwas lauter sind. Aber das Gegenteil war der Fall. Nach dem gemeinsamen Pilgern waren sie alle müde und einige scheinbar auch froh, dass sie sich mal ein bisschen zurückziehen konnten. Morgen werden sie noch nach O Cebreiro hoch gehen und dann in einen Bus steigen, der sie nach Santiago bringt.

Heute gibt es einige Anstiege zu überwinden. Der Hohlweg nach La Faba hinauf hat es in sich. Es ist zwar nur ein kurzes Stück, aber es ist verdammt steil. Die Luft ist feucht, ein Vorbote des nun nicht mehr weit entfernten Galicien. Ich fühle mich heute wie aufgezogen und bin nicht zu bremsen. Oben empfängt mich La Faba mit klarem Himmel. Es gibt sogar ein Café, das geöffnet ist. Ich bekomme den köstlichsten Toast mit Olivenöl und Tomate, den ich überhaupt je gegessen habe. Mit Liebe zubereitet, wie mir scheint.

Gesättigt verlasse ich La Faba weiter bergauf nach O Cebreiro und passiere zuvor den galicischen Grenzstein mit etwas gemischten Gefühlen. Das Ende meines Camino scheint hier zum Greifen nahe, und eigentlich möchte ich noch lange nicht ankommen.

Die Natur hier oben ist herrlich, es ist wunderbar still und ich fühle mich abgehoben von der lauten Welt. Die Sicht ist klar, tief atme ich die Bergluft und gebe mich ganz der Empfindung der Weite hin. Hier oben zählt heute nichts außer dem Dasein. So schlicht und doch so majestätisch.

Der Ausblick hinter O Cebreiro ist atemberaubend, der Sonne so nahe und weit über den Wolken, die tief in den Tälern hängen und von hier oben wirken wie Seen.

Zwischen Liñares und Hospital de Condesa kreuzt sich mein Weg immer wieder mit einer Gruppe Franzosen und Belgiern und einer Schweizerin, die sich auf dem steilen Stück bewegt wie eine Bergziege. Immer wieder läuft sie an mir vorbei den Berg hinunter. Eine unglaubliche und ansteckende Energie und strahlendes Lachen, das ansteckend ist.

Ab Fonfría fällt der Weg auf einer Länge von 13 Kilometern um 700 Höhenmeter ab. Dieses Stück bringt mich heute an meine Grenzen. Noch gestern habe ich mich darüber gefreut, dass ich den ganzen Weg über noch keinerlei ernstzunehmende Blessuren hatte. Ja, noch nicht einmal eine einzige Blase musste ich bislang versorgen. Und jetzt: Mein linkes Schienbein schmerzt. Noch will ich es nicht wahrhaben, halte es für einen schnell vorübergehenden Anfangsschmerz, der am nächsten Tag verschwunden sein wird. Doch die Schmerzen werden stärker. Plötzlich wird mir bewusst, dass mich eine Verletzung so kurz vor Santiago zum Abbruch zwingen könnte.

In Triacastela muss ich eine Weile nach einem Bett für mich suchen. Ich schließe mich erst der Franko-Belgisch-Schweizer Gruppe an. Die haben aber vorab reserviert. Ein weiteres Bett gibt es nicht. Ich muss also eine andere Unterkunft finden, was mir auch gelingt.

Da die Herbergen in den kleinen Ortschaften sowieso nicht weit auseinander sind und das Essensangebot auch ein wenig eingeschränkt ist, läuft man sich zwangsläufig wieder über den Weg. Beim Essen am Nachmittag gesellen sich Luisa, die Schweizerin, Christian le Belge und der Franzose Marc zu mir. Ich erzähle von meinen Schmerzen. Sie lassen direkt Eis kommen. Auf dem Camino sind alle Bars und Restaurants darauf eingerichtet, schnell ein kühlendes Eispack hervorzuzaubern. Christian hält gefühlte Stunden lang mein Bein und sorgt dafür, dass das Eis nicht verrutscht. Ich denke, es muss ihm doch langsam lästig und unbequem werden, so krumm wie er mir gegenüber sitzt. Als ich ihm die Frage stelle, lacht er nur und sagt: „Alles ok!“. Das gehört für mich zu den weiteren Wundern des Weges. Noch vor einigen Stunden haben wir uns überhaupt noch nicht gekannt. Und jetzt erweist mir dieser wildfremde Mensch einen Freundschaftsdienst und kümmert sich um mein schmerzendes Bein.

Christian ist in Belgien gestartet. Luisa ist von Basel aus unterwegs, seit drei Monaten. Ich muss lachen und gestehe ihr, dass ich heute dachte, sie wäre erst einen Tag unterwegs, so schnell wie sie unterwegs war. Luisa, Christian, die beiden Franzosen Marc und sein Freund haben sich schon in Frankreich getroffen und sind seitdem gemeinsam unterwegs. Wir haben eine wunderschöne Zeit zusammen beim Essen. Später gesellen sich noch Lorena und Flavio dazu. Und Roger ist auch dabei. Ich genieße es, mal wieder in fröhlicher und großer Runde zu sitzen. Jetzt habe ich zwar ein körperliches Handicap. Aber auch die Gewissheit, dass Freunde da sind und dass Hilfe nur ein Wort, ein Lächeln oder auch einen Schritt entfernt ist.

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