Manche Landschaften wirken magisch. Hier, in Puebla de Sanabria, habe ich eine Verbindung, sobald ich aus dem Zug aussteige. Die Altstadt mit ihrer mächtigen Festung liegt auf einem Hügel auf etwa 950 Metern Höhe, eingebettet in kahle braune Bergketten, auf denen sich Windräder drehen.
Heute früh ist es bitter kalt. Der Himmel ist klar und verspricht einen sonnigen Tag. Es ist Sonntag und nichts los in dem kleinen Touristenstädtchen mit seiner beeindruckenden Festung. Um kurz vor sieben verlasse ich Puebla de Sanabria in Richtung Requejos. Eine Rehmama hat sich mit ihrem Kitz in ein Wiesengrundstück gewagt und ist wohl sehr überrascht über die Wanderin.
Ich habe gestern keine Pilger gesehen, aber mein Zimmerwirt sagt, es wären viele unterwegs. Und tatsächlich: Am Ortsausgang muss ich meine Schuhe neu binden. Während ich da sitze, ziehen drei Pilger an mir vorbei. Ich bin also nicht allein.
Der Weg führt erst an der Straße entlang und zweigt dann ab auf eine Piste. Der Weg nach Requejo ist führt immer am Rio Castro entlang über Felder und Wiesen, die zuweilen überflutet sein können.
Die Kirche von Terroso liegt weit außerhalb des Dorfes. Der von außen begehbare Kirchturm reizt mich direkt. Ich steige hoch und kann der Versuchung nicht widerstehen. Selbst erschrocken über den lauten Klang, schaue ich mich um. Aber niemand scheint sich daran zu stören. Also gleich nochmal.
Kurz vor Requejo geht der Weg in ein Bachbett über. Im mittlerweile dichten Wald ist mein bislang so gut markierter Weg auf einmal nicht mehr vorhanden. Ich bleibe knöcheltief im Matsch stecken. Irgendwo höre ich eine Straße. Das muss die Autobahn sein, die ich überquert habe. Nachdem ich mich eine Weile durchs Dickicht gekämpft habe, lande ich auf einer breiten Piste, den Markierungsstein mit der Muschel direkt vor mir und eine Autobahnbrücke. Im ersten Moment glaube ich mich verlaufen zu haben. Doch als ich über die Brücke gehe, sehe ich unten das Dorf Requejo liegen. Dort gibt es eine Bar und nach drei Stunden endlich Frühstück.
Nichts wie raus aus den schlammigen Schuhen. Die Socken hänge ich zum Trocknen in die Sonne. Und wie so oft in einer Bar auf dem Camino bekomme ich gleich Gesellschaft. Valerie und Peter, zwei Deutsche, die an der Costa Blanca leben und jedes Jahr mit ihren Rädern auf einem Camino unterwegs sind. Regine aus Düsseldorf, die zum zweiten Mal die Via de la Plata geht. Katy aus London, die auch mit dem Fahrrad unterwegs ist. Jeder kennt jeden. Und ich gehöre sofort dazu.
Ab Requejo geht es weiter auf der wenig befahrenen Nationalstraße. Auf dem etwa sieben Kilometer langen Stück kommen mir ganze drei Autos entgegen. Nun ja, es ist Sonntag. Für den Weg über den Pass gibt es mehrere Alternativen. Der Weg durch den Tunnel scheint mir wenig attraktiv, auch wenn mein Reiseführer sagt, dass die Aussicht vom Pass unspektakulär ist. Womit er zweifelsfrei recht hat, wie sich herausstellt.
In Padornelo entscheide ich mich nochmal was zu essen. Vermutlich werde ich mein Ziel, Lubián, erst zwischen vier und fünf Uhr erreichen. Gut möglich, dass es dann bis zum Abend kein Essen gibt. Also erstmal rein in die Bar. Viel Auswahl habe ich nicht. Der Wirt macht mir einen üppigen Käseteller mit Brot. Besteck gibt es nicht. Die Bar ist gleichzeitig auch ein Laden. Über der Theke hängen riesige Schinken. Der Wirt spricht Spanisch. Ich krame meine paar Brocken hervor und erfahre immerhin, dass er viel von deutschem Essen und speziell dem deutschen Schinken hält. Später kommt Kundschaft in den Laden. Es entspinnt sich ein aufgrund meiner schwachen Spanischkenntnisse begrenztes Gespräch über den Camino. Dann verabschiede ich mich.
Im etwa drei Kilometer entfernten Örtchen Aciberos verlasse ich die Straße. Gleich am ersten Haus verwickle ich mich in ein Gespräch mit einer älteren Frau. Aurelia bietet mir einen Kaffee und einen Muffin an. Das kann ich nicht ausschlagen. Wir sitzen gemütlich draußen im Schatten und erzählen ein bisschen. Allmählich höre ich mich in die Landessprache ein.
Die letzten drei Kilometer ziehen sich. Der Weg durch den Wald verdichtet sich. Unterhalb höre ich den Fluss, der hier eher ein reißender Strom zu sein scheint. Ich hoffe sehr, dass der Weg nicht plötzlich wieder überflutet ist. Das scheint in dieser Gegend keine Seltenheit zu sein.
Am späten Nachmittag komme ich endlich in Lubián an. In der Casa Irene habe ich ein günstiges Zimmer reserviert. Katy ist schon da. Wir essen gemeinsam in der Bar. Katy ist Sängerin und hat sich vorgenommen, in jeder offenen Kirche auf dem Camino ein mittelalterliches Kirchenlied zu singen. Sie sagt, dass dieses Lied, das so oft in den Kirchen gesungen worden ist, direkt von den alten Steinen und Mauern erkannt wird. Sie strahlen die Energie zurück.
Die Erkenntnis des Tages. Neue Freunde sind oft nur einen Schritt weit entfernt.
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