Einkehren in Niederjossa

Um Viertel vor sechs am Freitagabend schleiche ich in Niederjossa um die einzige Gaststätte am Ort. Die Wanderung hat mich hungrig gemacht. Schon bei der Ankunft heute habe ich mal die Lage geprüft. Laut Internet sollte der „Schwan“ von 11 bis 23 Uhr durchgehend geöffnet haben. Die ein wenig vergilbte Speisekarte am Eingang lässt nichts Gutes hoffen, aber der Heuwirt hat mir versichert, dass Helga um 18 Uhr aufschließt. Ich wär auch sonst aufgeschmissen, denn am Ort gibt es nicht mal einen Einkaufsmarkt. Die Tankstelle wäre der einzige Lichtblick.

Ich umrunde, bis Helga vermutlich aufschließt, erstmal die Dorfkirche, die mit ihrem Schiessscharten-bewehrten Turm eher wie eine Burg wirkt. Einen Stempel bekomme ich dort auch noch.

Um kurz nach sechs sehe ich einen Dorfbewohner bei Helga auf den Hof einbiegen. Und tatsächlich: Es brennt Licht. Ich also rein, durchs nüchtern gekachelte Treppenhaus nach oben und rein in die Gaststube. Drinnen stehen ein paar Männer und Helga, die mich fragend anschaut. Ich frage, ob es schon was zu essen gibt. Sie: „Wir haben Spare-Ribs und Würste.“ Der kurzen Aufzählung entnehme ich, dass es wohl nichts anderes gibt. Ich bin Vegetarierin, aber das ist jetzt auch schon egal. Ich habe Hunger und sage bloß: „ Das hört sich doch gut an.“

Irgendjemand richtet eine Frage an Helga, die in meine Richtung deutet und bemerkt, dass sie mich nicht kennt. Ich beeile mich also, mich als Pilgerin zu outen. Und darf bleiben. „Aber das erste Essen kommt nicht vor sieben Uhr auf den Tisch.“ Also in einer knappen Stunde. Mir ist alles recht.

Im Gastraum steht in einer Ecke ein Tisch mit Geschirr und anderen Dingen, ein handgeschriebener Zettel mit dem Wort „ Flohmarkt“ weist darauf hin, dass man die Sachen kaufen kann. Daneben steht ein langer Tisch ohne Stühle. Ich setze mich, nicht ohne zu fragen, an einen Tisch, von dem aus ich das ganze Lokal überblicken kann. Irgendwie hab ich das Gefühl, dass ich hier als Fremde erstmal unter besonderer Beobachtung stehe.

Auf der anderen Seite des Lokals sitzt eine Gruppe junger Leute. Um das Gespräch mitzuhören muss ich nicht lauschen. Offensichtlich ist eine der Frauen die Tochter des Hauses.

Punkt sieben Uhr kommt Schwung in die Angelegenheit. Helga stellt schon mal einen Teller und Besteck auf meinen Tisch und interessiert sich auch für meinen Weg. Ich bin also doch als Gast akzeptiert. Ich darf den Wunsch äußern, ob ich Spare-Ribs, Würste oder vielleicht auch beides haben möchte und wieviel davon. Ich entscheide mich für beides. Die Beilagen für alle werden auf den langen Tisch ohne Stühle gestellt. Jeder darf sich dort nach Herzenslust bedienen. Es gibt das beste Sauerkraut, das ich je gegessen habe, Gurken-Tomaten- und Kartoffelsalat. Alles sehr lecker. Vom Nebentisch wird mir ein „Guten Appetit“ zuteil. Und allmählich fühle ich mich doch wohl hier.

Nach dem Essen bringen alle Gäste ihre Teller bis in die Küche. Das Ganze wirkt eher wie eine private Veranstaltung. Als ich gerade überlege, ob ich meinen Teller auch abräumen und in die Küche tragen sollte, wird mir die Entscheidung von der Tochter des Hauses abgenommen.

Ich bin gespannt auf die Rechnung. Helga rechnet schnell zusammen: Dreizehn Euro und dreißig Cent für reichlich Essen und zwei Bier. Interessante Einblicke ins Dorfleben inklusive.

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