Wie geht Weitwandern in Zeiten eines Corona-Lockdown bei nächtlichen Minus-Temperaturen? Im Zelt übernachten kam für uns nicht in Frage. Dann hatte Bernd die zündende Idee: Wir gehen von meiner Haustür zu seiner, von Oberursel also bis ins knapp 65 Kilometer entfernte Elz bei Limburg. Die Tour müssten wir so legen, dass wir mit den Öffentlichen zum Übernachten entweder zu mir oder zu ihm nach Hause kommen. Ich war sofort Feuer und Flamme, die Planung mit Komoot ein Kinderspiel. Und vor einigen Tagen war es dann soweit. Ich hatte Urlaub, das Wetter spielte auch mit.
Die erste Etappe ist die längste und körperlich auch die anstrengendste. Aber mit der Frische zweier Pferde, die im Frühjahr zum ersten Mal auf die Koppel gelassen werden, ist der Weg über den Taunuskamm geradezu ein Spaziergang. Unsere Route führt uns von Oberurseler Bahnhofsnähe durch die Altstadt, am Schwimmbad vorbei und durch den Wald bis zur Hohemark. Von da an halten wir uns rechts der Straße und gehen den Metzgerpfad hoch. Wer etwas über diesen alten Handelsweg nachlesen möchte, dem sei die Seite von Horst Eufinger empfohlen.


Nach einer kurzen Stärkung an der Talmühle mit Cappuccino „to go“ und einem köstlichen Stück Kuchen gehen wir weiter vorbei an Neu-Anspach, über die Jammerhecke vorbei an Merzhausen nach Altweilnau. Mittlerweile ist es ganz schön spät geworden. Das letzte Stück sind wir zugegebenermaßen ein bisschen in Eile, weil wir unbedingt den Bus bekommen wollen. Es kann da oben im Februar ganz schön kalt werden. Von Neuweilnau fährt nur alle zwei Stunden ein Bus nach Oberursel, von Altweilnau hat man eine Verbindung nach Usingen und nach Neu-Anspach. Freilich nur, wenn man auch weiß, dass man eine Stunde vorher ein Sammeltaxi rufen muss. Wenn man es nicht weiß und sich auf den niegelnagelneuen Fahrplan an der Erbismühle (zwischen Altweilnau und Neuweilnau) verlässt, der einem klipp und klar sagt, dass hier in einer Stunde ein Bus kommt, kann man eine böse Überraschung erleben, die um so bedrohlicher wird, wenn dann gegen 19 Uhr die Sonne hinterm Berg verschwunden ist und es bitter kalt wird.
Nun, wir haben überlebt, dank einer freundlichen Zeitgenossin, die uns nicht nur kurzerhand mitgenommen, sondern uns sogar ins 20 Kilometer entfernte Oberursel bis vor die Haustür gefahren hat. Ich glaube, ich werde ihr ewig dankbar sein für diesen Akt der Menschlichkeit inmitten von Corona-Zeiten.
Am nächsten Morgen machen wir es besser und fahren gleich mit dem Auto bis nach Neuweilnau. Dort lassen wir es stehen, bis wir in zwei Tagen wieder zurück sind. Unser heutiges Ziel ist Niederselters. Von da wird es nicht schwer sein, wegzukommen, denn es liegt an der Bahnlinie zwischen Frankfurt und Limburg.
Unser Weg führt heute über Cratzenbach zum Eichelbacher Hof, in dem man außerhalb des Lockdowns sehr schön sitzen und speisen kann. Komoot führt uns vorbei an Windrädern, teilweise zwischen umgestürzten und gefällten Bäumen abseits der Hauptwege. Die Hochsitze mit ihrer monumentalen Höhe scheinen für die Ewigkeit gebaut.
Blick von Neuweilnau auf Altweilnau Neuweilnau Park Dreieich mit „Kapelle“ in Neuweilnau Eichelbacher Hof
Die Ausblicke zurück auf den Feldberg und auf die Kreuzkapelle vor Camberg von oberhalb Schwickertshausen sind grandios, die Sonne wärmt uns wohlig. Es ist still hier oben und einfach nur unglaublich friedlich.
Blick auf den Feldberg im Taunus
Nach gut 6 Stunden, die wir nur wegen der Pausen im Sonnenschein benötigt haben, schauen wir hinunter auf Niederselters. Von dort nehmen wir den Zug nach Limburg und Elz.
Ich muss gestehen, auf die letzte Etappe habe ich nicht mehr ganz soviel Lust, weil sie parallel zu Autobahn, ICE-Strecke und der Lahn verläuft und mir die Strecke vom Zug aus am Vorabend recht langweilig vorgekommen ist. Ein wenig lustlos, aber dennoch vom Wunsch beseelt, den Weg zu Ende zu bringen, fahren wir nach Niederselters zurück. Und was soll ich sagen? Der Weg birgt hier seine – positiven – Überraschungen. Und bereits nach einer Stunde ist mir klar, dass ich diese Etappe auf keinen Fall missen möchte.
Wir halten uns links der Bummelzugstrecke Frankfurt – Limburg und gehen hinauf auf die Hohe Straße. Ein aufgestelltes Schild informiert über diese alte Handelsstraße, die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts eine der Hauptverkehrsadern Europas gewesen sein muss und von Konstantinopel über Ungarn, Böhmen, Nürnberg nach Frankfurt und weiter nach Limburg, Köln und Flandern geführt haben soll. Was für eine Entfernung! Das macht fast Lust, den ganzen Weg mal nachzuwandern.
Ein riesiges Kreuz ist gegenüber von Oberbrechen auf dem Berg 1955 von jungen Familien errichtet worden als Mahnmal gegen Krieg, Terror und Gewalt.
Badehaus Niederselters Aussicht von der Hohe Straße Mahnmal gegen Krieg, Terror und Gewalt A3 in Richtung Köln
In Niederbrechen gönnen wir uns ein Eis auf die Hand bei der Eismanufaktur. Das sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen. Mein Tipp: Bacio. Wirklich ein Gedicht! Das bisschen „Sünde“ in der Fastenzeit bereue ich nicht einen Augenblick lang.
Hinter Niederbrechen gehts wieder hinauf auf die Höhe. Komoot hat mal wieder ein dichtes Dickicht für uns. Bernd geht nach einem kurzen Versuch lieber außenrum, ich mitten durch. Wir haben ja schließlich noch einen weiten Weg vor uns. Jedem Temperament das seine.
Über Ennerich wollen wir hinunter an die Lahn, nach Dietkirchen. Bereits bei Ennerich treffen wir auf den Lahn-Camino, was bei mir regelrecht Heimatgefühle auslöst. Von Dietkirchen aus nehmen wir dann den allerkürzesten Weg, weil es auch schon wieder spät ist und wir dann doch wieder weit über zwanzig Kilometer an den Schuhen kleben haben.
Ein bisschen Dickicht ist immer. Ein letztes Päuschen Blick auf das Gewerbegebiet in Offheim Lahn-Camino Auf der Brücke nach Dietkirchen
Der kürzeste Weg führt durchs Gewerbegebiet von Offheim und von dort hinunter nach Elz. Limburg lassen wir links liegen. Nachdem ich mich erstmals zu Fuß von dort oben der Ortschaft nähere, fällt mir zum allerersten Mal seit einem Jahr auf, dass dieser Ort an einen Hügel gebaut ist. Wandern schärft eben den Blick.
Blick von Offheim nach Elz Rochuskapelle in Offheim Blick von Offheim nach Elz
Alles in allem haben wir bei dieser dreitägigen Tour viel Neues und Unbekanntest über unsere Heimat erfahren. Ich freue mich schon heute auf den Rückweg, für den wir eine andere Route planen, damit wir möglichst viel von diesem wundervollen – sonst von uns nur mit dem Auto befahrenen – Zwischenraum erfahren.
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