Mit der Aussicht auf den Frühling steigt die Lust nach einer weiteren Wandertour. Rausgehen in die Fremde und Welt erkunden, da wo man nicht zu Hause ist. Das geht natürlich im Lockdown äußerst schlecht. Man müsste schon ein Zelt dabei haben und dann wild campen irgendwo im Wald, was ja bekanntlich in Deutschland nicht so erwünscht ist. Aber ich bin bei aktuellen Temperaturen im einstelligen Plus-Bereich noch nicht so richtig dafür zu begeistern. Also plane ich die Touren möglichst an Bahnstrecken vorbei, von wo aus man – dem öffentlichen Nahverkehr sei Dank – am Abend immer wieder nach Hause kommt.
Nach unserer dreitägigen Tour durch den Taunus von Oberursel nach Elz zog es uns diesmal in den Westerwald. Wir wollten vom rund 50 Kilometer entfernten Hachenburg nach Elz zurück wandern.
1. Tag: Hachenburg – Westerburg
Um kurz vor 10 Uhr entlässt uns das kurze Züglein am Ostersamstag in Hachenburg. Es ist an diesem Ostertag noch relativ frisch, aber die Sonne ist draußen, und wenn der Wind mal stille bleibt, dann ist es sogar sehr angenehm. Ich muss mich trotzdem erst einmal etwas schneller bewegen, weshalb wir uns das Städtchen gar nicht so genau anschauen, sondern einfach der Komoot-Navigation folgen, stadtauswärts in Richtung Süden, vorbei am Hachenburger Schloss und dem malerischen Freilichtmuseum vom GeoInformationszentrum Westerwald.
Hoch erhoben über dem Tal folgen wir der Nister. Leider folgen auch die Straße und die Bahnlinie dem Flüsschen – oder eher dem Bach, weshalb es auch wegen des Ostereinkaufsverkehrs kaum Stille gibt. Einzig einem Wildschwein scheint der Straßenlärm schnuppe zu sein, wohingegen es von uns ganz offensichtlich aufgeschreckt wird und sich mit einem lauten Krachen durch das Unterholz davon macht.
Ein bisschen fühlt man sich auf dem ersten Teilstück wie auf einem Weitwanderweg, denn wir folgen lange Zeit der Markierung des Westerwaldsteigs, einem 235 Kilometer langen Rundweg, der mit einem grünen ‚W‘ auf weißem Grund ausgezeichnet ist.
In Nistertal endlich verlassen wir die Nister und die dazugehörige Straße und lassen Stockum-Püschen rechts liegen. Insgesamt fühlen wir uns selten versucht die Handykamera einzusetzen. Nicht, dass die Gegend nicht schön ist, aber wir gehen hauptsächlich durch Wald und deshalb gibt es hier keine Aussichten zu bestaunen. Größtes Highlight des ersten Tages ist der Flugplatz in Ailertchen, auf dem just, als wir dort ankommen, drei Fallschirmspringer landen. Hier herrscht am Ostersamstag reges Treiben und wir beobachten noch eine ganze Zeitlang ein kleines Sportflugzeug, aus dem fast kaum wahrnehmbar drei Stecknadel große schwarze Punkte fallen. Wenig später gehen die Schirme aus, was mich irgendwie erleichtert.
2. Tag: Westerburg – Elz
Am Ostersonntag steigen wir in Westerburg wieder ein. Der eisige Wind aus Nord-Ost macht mir von Anfang an zu schaffen. Ich habe es sehr eilig, auf den Weg zu kommen. Wir gehen auf dem Radweg erst einmal stadtauswärts und sehen schon bald vor uns in einer Senke den Kirchturm von Willmenrod. Wie das Dörflein da so hingeduckt ist in seine Kuhle fühle ich mich gleich sehr verbunden. Ich würde mich bei der Kälte auch ganz gerne in eine Mulde verkriechen.
Im Unterschied zum ersten Tag gibt es heute von Anfang an viele Weitblicke und auch viel zu entdecken. Die Landschaft ist hier offener, freier und wirkt mit seinen besonders geformten Hügelchen ein bisschen mystisch auf mich.

Die kleinen Ortschaften haben immer wieder eine kleine Besonderheit zu bieten. In Willmenrod wird das öffentliche Leben auf einer Holztafel auf dem zentralen Platz mit aktuellen Zeitungsausschnitten dokumentiert. In Girkenroth hat man sich ganz offensichtlich bereits in den 80er Jahren etwas ganz Besonderes ausgedacht. Für jedes Neugeborene wurde dort ein Baum gepflanzt und mit einer Namenstafel und dem Geburtsjahr versehen. Und so sind rund um das Dorf ganze Alleen hauptsächlich aus Obst- und Nussbäumen entstanden.
Von Girkenroth aus schaut man auf Weltersburg, das sich an den Hang des Küppel (436 Meter) schmiegt. Heute stehen wohl nur noch Ruinen der ehemaligen Schutzburg der Grafen von Sayn und der Herren von Isenburg. Anscheinend genoss dieses aus heutiger Sicht kleine Dorf im vierzehnten Jahrhundert Stadtrechte.
In Salz flüchten wir uns vor dem kalten Wind zur Mittgsrast in eine weitgehend umbaute Bushaltestelle und halten ein kleines Schwätzchen mit ein paar Ostersonntagsspaziergängern, die der Hund vermutlich zum Rausgehen animiert hat. Von Salz aus führt der Weg erst einmal hinunter in die Senke, um dann steil nach Molsberg anzusteigen, über dem das Schloss erhaben thront. Der Schlosspark beherbergt eine ganze Armee von Stileichen-Veteranen und der Kamerad, der sich hier über die Mauer davonmachen will, hat meine ganze Sympathie. Wo, bitte, steht geschrieben, dass nicht auch ein Baum über seine Möglichkeiten hinauswachsen kann?

Bei näherem Hinsehen wirkt das Schloss ein wenig in die Jahre gekommen und der Zahn der Zeit nagt an Mauerwerk und Verputz.
Weiter gehts durch einen Wald, an deren Ende mein persönlicher Monte de Gozo liegt. Der Wind hat mich mittlerweile wirklich mürbe gemacht. Zum Verständnis für alle, die den Camino de Santiago nicht kennen. Von diesem Ort aus erhascht der Pilger einen – wenn auch nicht gerade spektakulären – ersten Blick auf sein Ziel, Santiago de Compostela. Man nennt diesen Ort deshalb den Berg der Glückseligkeit. Meine Glückseligkeit kommt heute daher, dass man in der Ferne bereits Elz liegen sieht. Das Ziel und damit ein Herumlümmeln vor prasselndem Kaminfeuer scheint in greifbare Nähe gerückt.
Am Osterfeuerplatz, der mit seinem weißen Metallkreuz hoch über Hundsangen thront, lässt sich die Sonne noch einmal kurz blicken. Der Wind ist hier erträglich und die Aussicht könnte bei besserer Sicht phantastisch sein. Noch ein Päuschen, bevor wir über Malmeneich durch den Wald nach Elz gehen.
Am Ende haben wir fünfzig Kilometer zurückgelegt. Komoot hatte uns zu Beginn noch 45 Kilometer ausgewiesen. Es ist mir ein absolutes Rätsel, warum wir am Ende immer noch mal zehn Prozent Strecke oben drauf bekommen, denn verlaufen haben wir uns diesmal nicht. Und wenn, dann haben wir eher Abkürzungen genommen. Irgendwann werde ich diesem Geheimnis auch noch nachgehen.