Der Ökumenische Pilgerweg – Via Regia

Allmählich öffnen in Europa die Grenzen wieder und viele scharren derzeit schon mit den Füßen, um wieder auf den Jakobsweg nach Spanien zu gehen. Wie ich heute gelesen habe, soll das ab dem 1. Juli wieder möglich sein. Nicht jeder traut der wiedererlangten Freizügigkeit und fühlt sich schon sicher genug, denn Corona ist ja schließlich noch nicht vorbei. Wer weiß schon, ob es nicht doch noch eine zweite Welle gibt, ganz zu schweigen von der weiteren Ausbreitung des Virus in anderen Ländern.

Im Auf und Ab meiner eigenen Urlaubsplanungen während der letzten Monate habe ich einige Alternativen ins Auge gefasst und wieder umgeworfen. Zum Schluss blieb ein Plan hängen. Dass ich auf den Ökumenischen Pilgerweg gestoßen bin, der durch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen führt, verdanke ich der Frankfurter Jakobusgesellschaft, die alle zwei Jahre die Pilgerbörse Vamonos ausrichtet. Von dort hatte ich mir im Februar einen Flyer mitgenommen.

Im dreißigsten Jahr der Wiedervereinigung habe ich mich also vom äußersten Zipfel Deutschlands auf den Weg gemacht. Dieser Camino durch Deutschland startet in Görlitz, der östlichsten Stadt Deutschlands, direkt an der Neiße und damit der Grenze zu Polen. Die Via Regia ist ein uralter Handelsweg, der erstmals 1252 erwähnt wurde. Auf der Verbindungsachse zwischen West und Ost zogen nicht nur Händler, sondern auch selbstverständlich Pilger auf ihrer Reise nach Santiago de Compostela und natürlich auch Napoleon mit seinem Heer. Am Ende des Zweiten Weltkriegs trafen sich US Army und die Rote Armee in Strehla, kurz vor Leipzig. Lange Zeit war man übrigens davon ausgegangen, das erste Zusammentreffen sei in Torgau gewesen. In Strehla hatten es die Truppen nämlich versäumt, ihr Aufeinandertreffen gleich zu melden; stattdessen wurde erstmal ausgiebig gefeiert. Der Weg ist also durch eine bewegte Geschichte geprägt.

Was mich von Anfang an für diesen Pilgerweg begeistert ist, dass es auf diesem 460 Kilometer langen Weg von Görlitz nach Vacha in der Rhön eine echte Herbergskultur nach spanischem Vorbild gibt. In den vielen kleinen Ortschaften bieten Kirchengemeinden, Klöster und auch Gemeinden dem Pilger eine günstige Übernachtung im Bett oder auch auf Matratzenlagern an. Selbstverständlich kann man keine Herbergsdichte wie auf dem Camino Francés erwarten. Aber man kommt ganz gut über die Runden. Soviel kann ich nach einer Woche pilgern von Görlitz nach Zeithain schon sagen.

Sehr beeindruckt hat mich die Freundlichkeit der Menschen in Sachsen, die stolz sind auf ihre Heimat und ganz besonders redselig werden, wenn sie das Interesse ihres Gegenübers an ihrer Geschichte spüren. Das fällt bereits in Görlitz auf, wo wir gleich eine private Stadtführung vom Aufseher in der Dreifaltigkeitskirche bekommen. Er begleitet uns spontan auf den Untermarkt mit seinem Rathaus und gibt ein paar Anekdoten zum Besten. Zum Abschluss empfiehlt er uns noch einen Besuch im Café Lucullus (Peterstrasse 4) mit seinen schlesischen Spezialitäten, allen voran der Mohnpiele, einem Kuchen aus Mohn und Marzipan, der mit Eierlikör und Sahne serviert wird. Wer hier in Görlitz ist, sollte sich den Besuch des Cafés nicht entgehen lassen.

Und vor allem sollte man sich unbedingt einen Tag Zeit lassen, bevor man von Görlitz aus losgeht. Ein Nachmittag ist viel zu wenig, es gibt in dieser wunderschönen Stadt so viel zu sehen. Bei der Ankunft beeindruckt mich schon der Jugendstil-Bahnhof. Der mittelalterliche Stadtkern mit den Hallenhäusern der Kaufleute, Stadtwaage, Salzhaus und den Kirchen sind wundervoll erhalten und renoviert. Nicht auszumalen, was alles der Nachwelt entgangen wäre, hätte man die Pläne der 80er-Jahre umgesetzt und die Altstadt abgerissen.

Vor einer Woche, als wir in Görlitz waren, konnte man nur nach Polen hinüberschauen. Die Altstadtbrücke über die Neiße war mit einem Drahtzaun gesperrt, an ihm hingen vertrocknete Blumen, die von den Menschen dort als Zeichen der Solidarität und Verbundenheit am Zaun befestigt wurden. Seit gestern ist die Grenze nach Polen wieder geöffnet, und das ist gut so. Die Menschen dort brauchen einander.

So ironisch es klingen mag: Dass ich dieses Mal auf dem Pilgerweg nicht allein war, verdanke ich Corona. Bernd wäre nämlich eigentlich auf dem Camino Portugués unterwegs gewesen und ich in Texas. Vielleicht wären wir uns nie begegnet, hätten nicht die diversen Foren in Facebook dazu aufgefordert, Bilder und Berichte vom Camino zu posten, um wenigstens virtuell zu pilgern. Ich fing also an, meine alten Beiträge vom Camino 2017 zu teilen. Und so kam es, dass wir uns zum gemeinsamen Wandern verabredeten. Unser gemeinsamer Weg auf der Via Regia ist ein großes Geschenk.

bernd-katja

Ein Rest Traurigkeit darüber, dass ich meinen Camino-Freund Keith in diesem Jahr nicht sehen werde, bleibt. Morgen jährt es sich, dass wir uns in Sarria nach ein paar Tagen auf dem Camino Francés verabschiedet haben.

 

 

 

4 Kommentare

  1. Via Regia ist notiert! Klingt nach einer guten Option. Der Bericht hat mich richtig neugierig gemacht! Wir haben es ganz knapp noch vor-Corona geschafft, den Camino Portugués zu gehen dieses Jahr… und waren/sind sehr froh darüber. So haben wir Energie getankt und konnten viele schöne Eindrücke mitnehmen, die
    in Corona-Zeiten geholfen haben;-)

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  2. Danke für die lieben Worte der Dankbarkeit!

    Glück ist , Zeit mit Menschen zu verbringen, die aus einem ganz normalen Tag, etwas ganz besonderes machen.

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