Ankommen in Le-Puy-en-Velay

Le-Puy-en-Velay ist einer der ältesten Wallfahrtsorte in Frankreich. Hierhin kommen Pilger zur Verehrung der schwarzen Madonna, die ein Geschenk eines ägyptischen Sultans an den Bischof von Le-Puy-en-Velay gewesen sein soll. Aber auch viele Jakobuspilger wählen diesen Ort als Beginn ihrer Pilgerreise nach Santiago de Compostela und folgen damit dem Chemin de Saint-Jacques oder auch ganz profan dem GR 65. „GR“ steht für „Grande Randonnée“ und bezeichnet in Frankreich die Fernwanderwege.

Die Anreise mit dem Zug in das gerade mal 20.000 Einwohner zählende Städtchen in der Auvergne, genauer gesagt: im Département de la Haute-Loire, führt mich von Frankfurt über Paris und Saint-Etienne schließlich durch das wildromantische Tal am Oberlauf der im Massif Central entspringenden Loire. Wild und lebhaft ist der Fluß hier in diesem grünen Tal, nicht nur, weil es in letzter Zeit viel geregnet hat. Als ich schließlich nach etwa zwölf Stunden Reise in Le-Puy-en-Velay aus dem Zug steige, nieselt es immer noch ein bisschen. Der Himmel ist wolkenverhangen. Und für die nächsten Tage ist wohl auch erst einmal keine Besserung in Aussicht.

Außer mir steigen noch zwei weitere Rucksackträger aus dem Zug. Es geht erst einmal steil bergab und dann wieder steil bergauf. Für die erste Nacht habe ich vor Wochen ein Bett im Gîte Relais du Pèlerin Saint-Jacques reserviert, das am Fuß der Kathedrale liegt. Ich bin aufgeregt, möchte am liebsten schnell mein Bett in Besitz nehmen, den Rucksack ablegen, um mir das Städchen anzuschauen. Hinauf zur begehbaren Marienstatue Notre-Dame-de-France, die aus im Krimkrieg erbeuteten russischen Kanonen gegossen wurde und seit 1860 über der Stadt thront. Oder auch zur Chapelle St.-Michel-d’Aiguilhe, die spitz auf einer fast 90 Meter hohen Vulkannadel in den Himmel ragt. Doch im Gîte werde ich erst einmal von den drei ehrenamtlichen Damen entschleunigt. Die drei haben alle Zeit der Welt, bieten erst einmal einen Minzsirup mit Wasser an und bestehen darauf, dass die Angereisten erst einmal zur Ruhe kommen sollen.

Wir sind drei Pilger. Rebekka aus Deutschland, die vier Wochen unterwegs sein wird. Und ein Franzose, der heute mit dem Bus aus Conques zurückgekommen ist, um sein in Le-Puy stehendes Auto abzuholen. Er hat vor zwei Wochen schon einmal hier genächtigt und berichtet von überfüllten Gîtes auf der Via Podiensis. Eindringlich rät er mir, meine Übernachtungen für die nächsten zehn Tage – also bis einschließlich Pfingstmontag – vorzubuchen. Wegen der vielen Feiertage im Mai sind viele Pilger unterwegs. Außerdem ist ausgerechnet am Pfingstwochenende auch noch der Almauftrieb im Aubrac mit vielen Festivitäten, zu dem viele Zuschauer erwartet werden. Na wunderbar! Und das mir, die ich sehr ungerne einen festen Plan im Sack habe.

Irgendwann greift eine der drei Damen aus der Pilgerherberge nach dem Stempel. Jeder Pilgerausweis wird genauestens angeschaut. Wir erhalten unseren Ankommensstempel und dann dürfen wir nach oben. Wir werden in einen Raum geführt, in dem wir unsere für die Nacht benötigten Utensilien in Plastikboxen umpacken sollen. Kein Rucksack geht mit in den Schlafsaal. Auch wenn ich logistisch am ersten Tag damit erst einmal überfordert bin: Ich begrüße die auf der Via Podiensis so häufig vorkommende Praxis, die Rucksäcke aus den Schlafsälen rauszuhalten. Das hat viele Vorteile:

Zum einen ist die Gefahr von Bettwanzenbefall eingebremst. Zum anderen bewahrt die Praxis vor dem in Schlafsälen so häufig vorkommenden lautstarken Geraschel und Gesuche in den Rucksäcken. Und ganz wichtig: Für Frühaufsteher hat die Kistenlösung den Charme, dass man auf leisen Sohlen und ohne viel Aufhebens schnell aus dem Schlafsaal verschwunden ist und draußen dann gemütlich und bei Licht seinen Rucksack packen kann. Die Chance, dass man auf diese Weise auch mit allem rausgeht, was man mitgebracht hat, steigt enorm.

Und noch eine angenehme Überraschung erwartet mich. Die beiden Schlafsäle sind unterteilt in zahlreiche Einzelparzellen, in denen je ein Bett und ein Schreibtisch sowie auch eine kleine Lampe stehen. Ein bisschen Privatsphäre in dieser ersten Nacht, um sich an die Schlafsituation der nächsten Wochen zu gewöhnen.

Inzwischen ist es schon deutlich nach 19 Uhr. Für eine Besichtigung an diesem trüben, etwas nieslig-regnerischen Tag zu spät. Ein bisschen schaue ich mich noch um. Dann treibt mich der Hunger in das Restaurant „Auberge des Tables“, wo ich mir eine Portion der hier angebauten köstlichen Puy-Linsen mit einer Wurst gönne. Hier, in diesem ländlichen Frankreich auf vegetarischer Ernährung zu beharren, hieße etwa zwei Wochen lang Omelett zu essen. Ich halte es also so wie sonst auch auf dem Weg: Vegetarisch esse ich, wenn ich wieder zu Hause bin.

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