Wieder ein neuer Tag. Hinter mir liegen drei lange Tagesetappen und fast die Hälfte des gesamten Weges. Ich frage mich ernsthaft, was jetzt noch kommen kann. Zweieinhalb Wochen bin ich nun schon auf der Vía unterwegs und habe nicht den Hauch einer Ahnung, was mich eigentlich hierher gebracht hat. Die Sinnfrage trifft mich ausgerechnet an einem Tag, an dem nur 22 Kilometer anstehen, dazu mit der Aussicht darauf, die Extremadura zu verlassen und die Region Castilla y León zu betreten. Möglicherweise hat es ja etwas damit zu tun, dass ich die vorletzte der großen Regionen auf dem Weg erreicht habe.
Ich verlasse heute als erste die Herberge und fädele mich durch mehrere groß angelegte Verkehrskreisel auf der N-630. Der Weg führt mich heute gute zehn Kilometer an der relativ schwach befahrenen Nationalstraße entlang. Es geht bergauf, vor mir liegt grünes Bergland. Das ist ein drastischer Szenenwechsel zu den hinter mir liegenden Wochen durch Andalusien und die Ebenen der Extremadura. Mein Guide weist etliche Cafés auf der Strecke aus. Auch das ist neu auf diesem Weg.
Kurz vor Baños de Montemayor holen Quinn, Gorazd und auch Arth und Anna auf. Heute gibt es hier einen gemütlichen Kaffee auf dem Dorfplatz. Baños de Montemayor ist eines der ältesten Heilbäder Spaniens; bereits die Römer haben die Thermalquellen hier genutzt. Von dort geht es erst einmal steil den Berg hinauf und dann weiter auf einem ebenen Pfad. Von hier oben kann man endlich auch einen Blick auf den im Tal liegenden Stausee Embalse de Baños werfen, der durch die N-630 im Osten und die A-66 im Westen eingefasst ist.
Die Passhöhe Puerto de Béjar habe ich bald darauf erreicht. Hier beginnt Castilla y León. Ab hier verlasse ich dann auch endlich die Straße und laufe durch Wald und Feld.
Die Herberge am Ortsrand von Calzada de Béjar ist ein renovierter Altbau mit Rasen davor. Endlich mal Platz für ein paar Yoga-Übungen und die Chance, die steifen Glieder wieder zu beleben. Manuela, die Hospitalera, bemüht sich sehr, so langsam mit mir zu sprechen, dass ich die Chance habe, ihr zu folgen. Im Gemeinschaftsraum gibt es einen Kamin, der sicher in der kälteren Jahreszeit sehr willkommen ist. Heute brauchen wir den garantiert nicht.
Eine Stunde nach der Ankunft flattert die Wäsche im Wind. Gabor, Quinn, Gorazd und ich, machen uns auf in Richtung Ortsmitte. Eine Einkaufsmöglichkeit gibt es in dem kleinen Ort nicht. Manuela betreibt mit ihrem Mann in der Dorfmitte eine Bar. Es gibt hier ein ehrliches Mittagessen abseits des üblichen Pilgermenüs: Kichererbsen-Suppe, Salat mit Fleisch und einen Kaffee. Erinnerungsfotos gibt es für jeden und von jedem Smartphone aus dazu. Manuela und ihr Mann haben eine Engelsgeduld mit uns.
Der Österreicher Georg sitzt am Nebentisch und scheint lieber für sich zu bleiben. Jedem seinen Weg. Arth und Anna, die ursprünglich heute weiter wollten, um einen Pausentag in Salamanca einlegen zu können, haben sich kurzfristig entschlossen, auch hier zu übernachten. Sie haben ein entzückendes Zimmer mit Balkon über der Bar und freuen sich über ein bisschen Privatsphäre.
Wie sehr ich diese gemeinsamen Essen vermisst habe, die auf anderen Jakobswegen üblich sind! Dies ist der erste Abend, an dem wir alle zusammen an einem Tisch sitzen. Die Sinnfrage hat sich damit für heute erübrigt. Welchen besseren Sinn gibt es als ein gutes Essen in Gemeinschaft in einer schönen Umgebung? Ich fühle mich heute satt.