Tag 18: Calzada de Béjar – Fuenterroble (08.06.2022)

Manche Tage auf der Vía dehnen sich ohne nennenswerte Ereignisse wie die weiten Ebenen der Extremadura. Genau wie die Landschaft wirken diese Tage leer, die Erinnerung wird flüchtig. Doch der heutige Tag wird am Ende so voller Eindrücke sein, dass ich mich ein wenig überfordert fühle.

Der kühle Morgen zeigt sich bewölkt und auch etwas windig, so ganz anders als all die Tage zuvor. Ich gehe zwischen grün gesäumten Weiden, die Kühe schauen mir in stoischer Ruhe hinterher.. Es fühlt sich gut an, dieses Unterwegssein, nur die Sehnen meines linken Fußes melden sich dann und wann. Ich versuche langsam zu gehen, lasse mich von Gorazd, später von den beiden jungen Taiwanesen überholen.

In Valverde de Valdelacasa fällt die liebevolle Gestaltung entlang des Weges durch den Ort auf. Hier scheinen sie die Pilger zu mögen. Pilgerstatuen aus Holz, Blech und Stein säumen die Straße. Man fragt nach dem Weg und erhält als Antwort gleich noch die Wegbeschreibung zur Bar. Aber nach zwei Stunden ist es mir noch zu früh für eine Pause. Bis Valdelacasa ist es noch eine Stunde Fußweg, dort soll auch noch eine Bar sein. Es geht bergauf. Ich hab mal wieder zuviel Wasser geladen und schüttle den Kopf darüber, dass ich es einfach nicht lern, mich auf das Nötigste zu beschränken.

In Valdelacasa ist erst einmal der höchste Punkt erreicht. Ein weiterer schön gestalteter Platz am Ortseingang zeigt, dass man auch hier als Pilger gerne gesehen ist. Würde man dem gelben Pfeil folgen, hätte man den Ort gleich wieder geradeaus verlassen. Ein älterer Mann zeigt nach rechts, zweihundert Meter weiter soll eine Bar sein. Die beiden jungen Taiwanesen sitzen schon davor. Innen brennt Licht, aber die Tür ist geschlossen. Doch auf einmal regt sich etwas und die Wirtin öffnet verschlafen die Tür. Sie sagt, sie hätte uns kommen sehen und sei schnell aufgestanden. Noch müde von der Nacht macht sie uns Kaffee. Wenig später taucht der Mann von eben auf. Ich schätze, er hat seine Chance auf einen unerwarteten Kaffee genutzt.

Bis Fuenterroble sind es noch etwa acht Kilometer, als etwa zwei Stunden zu Fuß. Auf den letzten vier Kilometern begegnet mir eine Gruppe von Schülern, die hier anscheinend Pilger interviewen sollen. Einer, der gut Englisch kann, wagt sich vor. Wo ich herkomme und wo ich hin möchte, fragt er. Und was mir am besten an diesem Weg gefällt. Wer weiß: In einigen Jahren wird der eine oder andere seinen eigenen Camino gehen.

Gleichzeitig mit Gorazd erreiche ich die Herberge von Fuenterroble de Salvatierra. Es ist eine kirchliche Herberge. Mein Guide-Buch sagt „großes Haus, mehrere Anbauten, Andachtsraum…“ Wir werden an der Tür empfangen und durch ein verwinkeltes düsteres Gebäude geführt, das auf den ersten Blick ziemlich messy wirkt. Ich versuche angestrengt, mir den Weg zu unserem Anbau zu merken und gebe auf. Gorazd setzt seinen Rucksack ab und entschuldigt sich. Er meint, er müsse erstmal in die Bar, um sich auf die Unterkunft einzustellen. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen und weiß genau, was er meint. Der Ort ist düster, verwinkelt, unordentlich und auch nicht besonders sauber. Überall stehen irgendwelche alten landwirtschaftlichen Geräte herum, düstere Bilder und allerlei Trödel. Ob es auch Mäuse in unserem Anbau schaffen, will ich gar nicht wissen. Mit Sicherheit gibt es hier allerhand Schlupflöcher.

Ich beeile mich mit dem Duschen und schaue mich ein wenig um. Wir sind im Anbau untergekommen, der offensichtlich von amerikanischen Pilgern gestiftet worden ist. Einen Hauch von Wildwest gibt es auch, wenn man sich wagt, noch tiefer in die Scheune hinter den Herbergsräumen einzutauchen. Im angrenzenden Garten gibt es einen Pavillon, der ausschließlich von Stofftieren bewohnt ist. Ich fühle mich ein wenig überfordert von all dem Zeug, das hier lagert.

Vor dem Abendessen dürfen wir alle gemeinsam die Kirche besichtigen, das Abendessen bekommen wir im großen dunklen Speisesaal kredenzt. Eigentlich ein schönes Ereignis, aber wir scheinen alle ein wenig mit der Situation zu fremdeln: Der Speisesaal ist riesig, der Trödel an der Wand schüchtert ein und es wirkt alles in allem weder gemütlich noch sonderlich sauber. Und es ist kalt in dem Gemäuer. Es will kein rechtes Gespräch aufkommen, von ausgelassener Stimmung, wie ich sie sonst von solchen Abendessen auf dem Camino kenne, keine Spur. Aber wir wir bekommen ein sättigendes, einfaches Essen. Und für mich werden sogar nochmal extra ein paar Eier in die Pfanne gehauen, weil ich keinen Fisch essen kann.

Nach dem Zubettgehen tanzen die vielen Eindrücke des Tages vor dem geistigen Auge wild durcheinander, bis ich schließlich in einen tiefen Schlaf falle, der entgegen meiner Erwartung, bis zum nächsten Morgen völlig störungsfrei ist.

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