Nach der langen Etappe gestern steht heute eine sehr kurze Strecke an. Nur elf Kilometer sind es bis Casar de Cáceres. Genau die richtige Strecke, um mich auf die anstehenden drei langen Tagesetappen von 33, 37 und 38 Kilometern vorzubereiten. Und eine willkommene Gelegenheit, mir auf der Plaza Mayor von Cáceres erst einmal ein ordentliches Frühstück zu gönnen und die erwachende Stadt auf mich wirken zu lassen.
Um 9 Uhr morgens gibt es noch nicht viel Auswahl an geöffneten Cafés auf der Plaza. Die Uhrzeit entspricht einfach nicht dem spanischen Rhythmus. Die spanischen Nächte sind lang, es wird in der Regel erst gegen zweiundzwanzig Uhr zu Abend gegessen. Frühstücken ist dann zwischen zehn und elf Uhr morgens dran. Dann wäre auch die Plaza mit Sicherheit belebter. Aber selbst für die kurze Strecke, die ich nach mittlerweile fast zwei Wochen Training mühelos in deutlich unter drei Stunden bewältigen kann, würde ein späteres Frühstück bei den aktuellen Temperaturen irgendwo zwischen 35 und 40 Grad den Auftakt für ein sinnloses Schmachten in der Sonne bedeuten.
Ich genieße an diesem Morgen meine kleine Flucht in ein kleines touristisches Abenteuer. Eines, das mir, wo immer ich mich auch gerade befinde, immer besonders gefällt. Einfach Sitzen und Schauen, die Morgenrituale der Stadtbevölkerung beobachten. Einfach einmal eine Auszeit nehmen nach zwölf Tagen Innenschau und spiritueller Suche nach …. ja, wonach eigentlich? So eine wirkliche Antwort habe ich darauf immer noch nicht. Und fast scheint es mir, dass das innere Ziel meiner Reise mir immer ungewisser wird.
Während ich mir Café con Leche und eine Napolitana – eine Art riesenhaftes Schoko-Croissant – schmecken lasse, kratzt mich die Ungewissheit meiner Pilgerreise nicht besonders. Ich ertappe mich sogar bei der Frage, was denn wohl wäre, wenn ich diesen Kurzurlaub von zwei Stunden auf eine Woche ausdehnen würde. Ich könnte danach den Bus nehmen … – Aber natürlich steht das überhaupt nicht an. Irgendwie verfolgt man solche Ideen beim Pilgern genauso wenig, wie den Gedanken ans Nachhausefahren nur weil es gerade mal ein wenig schwierig wird. Da scheint das gleiche Phänomen zum Zuge zu kommen, wie wenn man sich im Alltag Aussteigergedanken zwar hin und wieder erlauben mag, um dann jedoch sofort zu dem Schluss zu kommen, dass man am nächsten Morgen eben doch wieder zur Arbeit geht. Man bleibt eben lieber bei dem, was einem vertraut ist.
Nach zwölf Tagen Pilgern bin ich mit dem Unterwegssein wesentlich vertrauter als mit dem Bleiben. Es hat auch etwas sehr Komfortables, dieses Unterwegssein. Denn es strukturiert den Tag, man tut etwas Sinnvolles, weil die Bewegung sowohl dem Körper als auch dem Kopf unendlich gut tut und man sich am Abend rechtschaffen müde fühlen darf. Ich kann mich nicht erinnern, dass mich das Flanieren in einer Stadt jemals so zufrieden gemacht hätte. Zumindest nicht dann, wenn es kein erklärtes Ziel hatte.
Um halb elf komme ich auf die Piste, zur Stadt hinaus geht es vorbei an der Stierkampfarena. Es geht im übrigen häufig vorbei an einer Stierkampfarena, egal, ob man sich in einer größeren oder kleineren Stadt befindet. Der Camino führt hinauf auf die „Sierrilla“, womit die Bezeichnung für eine Gebirgskette „en miniature“ gemeint ist. Hinter dem Hügel scheint sich ein Badesee zu befinden, denn mir kommen zwei Spanier in Badebekleidung entgegen. Leider verläuft der Weg parallel zum Bergrücken, also Badesee adé. Wie immer hab ich wieder den Unterwegs-Tunnelblick und scheue Umwege, auch wenn es heute nicht weit ist. Es ist heiß. Der Blick schweift über die weite Ebene und trifft nordwestlich in der Ferne auf Erhebungen. Ich vermute, dass dort der Nationalpark Monfragüe beginnt, in dem Kolonnien von Mönchgeiern leben. Was gäbe ich nicht darum, mich einfach mal für ein paar Stunden dorthin beamen zu können.
Ganz im Gegensatz zu der kargen Steppe wirkt der Ortsanfang von Casar de Cáceres sehr belebt. Es gibt linksseitig der Straße am Ortseingang eine Unterkunft in einem modernen Bau aus Glas und Stahl. Der Name „Albergue de Casar“ ist etwas irreführend, weil man dort auf Fußpilger wohl nicht allzu sehr erpicht ist.. Ich werde direkt an der Tür abgefangen mit der Bemerkung, dass ich mich sicher veirrt habe. Gegenüber befinden sich eine Menge Cafés. Zur Pilgerherberge ist es von hier aus noch einige hundert Meter. Sie befindet sich am zentralen Platz, der Plaza de España. Pilgerstempel und die dünnen Einmal-Matratzenbezüge holt man sich im Tourismus-Büro gegenüber und später am Tag in der Bar „El Siglo“ gegenüber. An den Außentischen der Bar trinkt und schwatzt sich eine Gruppe Spanier vom Nachmittag bis in die Nacht hinein fest. Nun ja, es ist Freitag, und in Spanien wird gerne und viel ins Wochenende hinein gefeiert.
Die Herbrge ist heute bis auf den letzten Platz belegt. Ich frage mich immer noch, wo all diese Pilger immer wieder herkommen. Die meisten von ihnen sind heute in Valdesalor gestartet. Im Bett neben mir versorgt sich eine junge Taiwanesin ihre Blasen. Sie stellt sich als Quinn vor, was wohl ihrem tatsächlichen asiatischen Namen lautmalerisch am ehesten entspricht. Die Polen, Arth und Anna, sind auf einmal auch wieder da. Sie hatten in Mérida eine Nacht dran gehängt.
In der Luft liegt leichte Nervosität. Die nächsten drei Etappen sind lang und führen durch die unendlichen Weiten der Ebene, ohne Rastmöglichkeiten und nahezu ohne Schatten. Nach dem heutigen Erholungstag fühle ich mich bereit.