Steine am Weg weisen die Richtung. Sie markieren den Weg. Steine sind unumstößlich, fest. Steine können Stolpersteine sein oder sie bringen die Dinge ins Rollen. – Wir haben zahllose Redewendungen, die sich um Steine ranken:
- hart wie Stein
- zu Stein erstarrt
- einen Stein ins Rollen bringen
- einen Stein lostreten
- Mir fällt ein Stein vom Herzen.
- schlafen wie ein Stein
- in Stein gemeißelt
Steine sind erstarrtes Leben, in Jahrmillionen zusammengepresst, verdichtet, fest und doch nicht für die Ewigkeit. Wie verschieden doch der harte Stein vom weichen Wasser und sanften Moos ist. Und doch sind beide geeignet, die Erstarrung der harten Materie aufzubrechen.
Auf dem Pilgerweg begegnen uns Steine als Wegweiser oder auch als Denksteine, die zum Andenken oder als Erinnerung an Wegmarkierungen abgelegt werden. Man denke auch an den riesigen Steinhaufen am Cruz de Ferro auf dem spanischen Jakobsweg. Tausende und abertausende Pilger haben hier symbolisch in Form eines Steines ihre Last niederlegt und sich damit befreit von der Schwere ihres Lebens.
Ich selbst habe einige Steine auf dem Jakobsweg und am Cruz de Ferro gelassen. Es gibt Menschen, die tun das in aller Stille, manche benötigen einen Zeugen; so wie der Spanier, dem ich einst am späten Abend am Cruz de Ferro begegnet bin. Ich hatte mich gerade zum Gehen gewendet, als er vom zwanzig Kilometer entfernten Astorga angeradelt kam. Er bat mich, ihm einen Gefallen zu tun und drückte mir sein Smartphone in die Hand. Auf sein Geheiß sollte ich auf den Startknopf fürs Video drücken. Sprachs und stapfte entschlossen zum Kreuz hinauf. Oben drehte er sich um, warf sich in Siegerpose und gab mir das verabredete Zeichen. Dann stieß er temperamentvoll ein paar spanische Worte hervor und schleuderte den Stein mit Wucht von sich. Ich weiß bis heute nicht, für wen diese Inszenierung bestimmt war, vielleicht eine verflossene Liebe.
Steine auf dem Weg erinnern uns an unsere eigene Körperlichkeit. Sie stellen ein Gegengewicht her zu unserem Wunsch nach Befreiung, nach Leichtigkeit. Die steinigen Pisten des Pilgerwegs sind zuweilen sehr mühsam zu bewandern. In manchen kargen Gegenden gibt es nichts als die Stein gewordene Wirklichkeit des Weges. Schotterpisten soweit das Auge reicht, geformt von den Schritten zahlloser Pilger. Eingegraben in die Erde und wieder freigelegt durch die Reibung von festem Schuhwerk treten neue Formen zutage. Ich kannte eine Pilgerin, die ein ganzes Album voller Herzsteinbilder auf ihrem Smartphone gespeichert hatte, einer schöner als der andere. Und auch hier zeigt sich die Wandelbarkeit der Welt, denn was heute wie ein Herzstein erscheint, wird morgen durch weitere Fußtritte vielleicht schon wieder vergraben sein.
Nichts, nicht einmal ein Stein, ist unveränderlich.