Tag 3: Castilblanco de los Arroyos – Almadén de la Plata (24.05.2022)

Der dritte Tag auf einer Pilgerreise fällt mir erfahrunsgemäß immer schwer. Meine Knochen fühlen sich an wie Blei, erste Ermüdungserscheinungen und Druckstellen vom Rucksacktragen äußern sich schmerzhaft. All das ist normal und geht in der Regel bald vorbei. Doch diesmal schwant mir, dass der Weg noch viel Schweres für mich bereithalten wird. Die ersten Etappen waren kurz. Heute stehen dreißig Kilometer an, davon allein siebzehn auf Asphalt. Es ist heiß. Und es wird keine Einkehrmöglichkeit geben.

Schon um drei Uhr morgens schrecke ich zum ersten Mal aus dem Schlaf hoch. Am liebsten würde ich direkt loslaufen, aber vor sechs Uhr wird der Hospitalero die Tür nicht aufsperren. Das hat er mehrfach betont. Als um fünf Uhr die beiden Polen leise den Schlafsaal verlassen, hält mich auch nichts mehr. Mit wenigen Handgriffen schnappe ich meine Siebensachen und beginne am Fuß der Treppe zu packen. Arth hat inzwischen probiert, ob die Tür auf ist. Fehlanzeige. Von wegen Fluchttür! Wir müssen also warten.

Punkt sechs kommt der Hospitalero aus seinem Schlafgemach geschlurft. Ich meine ein verstohlenes Grinsen um seine Mundwinkel zu bemerken. Wahrscheinlich hat er es jeden Morgen mit einer Handvoll Pilger zu tun, die ungeduldig darauf warten, dass endlich die Tür aufgeht.

Die ersten Schritte die Straße hinunter machen mir Hoffnung. Ich scheine heute einigermaßen gut beinander zu sein. Der Morgen empfängt mich mit kühler Luft, ich gehe langsam, immer an der Straße entlang. Rechts und links der Straße Stein- und Korkeichen. Nach einer Stunde geht die Sonne auf.

Bereits nach zwei bis drei Stunden brennt die Sonne deutlich auf der Haut. Die Polen sind schon über alle Berge. Der Slowene Gorazd überholt mich. Ich sehe ihn noch lange. Er läuft auf der rechten Straßenseite, weil es dort schattig ist. Ich bleibe erstmal stur auf der linken Seite, obwohl so gut wie kein Auto zu sehen ist. Bis es mir irgendwann doch zu warm wird. Die Straße nimmt meinen Füßen nach und nach die Kraft. Ich bin heilfroh, als ich nach vier Stunden endlich den Eingang des Naturparks erreiche. Gorazd sitzt davor im Schatten. Spontan rückt er zur Seite und lädt mich ein, mich zu setzen. Ich lehne dankend ab, möchte lieber weg von der Straße und hinein in den Naturpark. Von hinten überholen mich ein Mann und eine Frau. Wie sich herausstellt, sind sie aus Kroatien. Auch sie lassen sich für eine Pause nieder, aber die Frau besteht darauf, in der Sonne zu sitzen. Ich schaue sie ungläubig an und schüttele innerlich den Kopf.

Nach ein paar hundert Metern finde ich ein Plätzchen im Schatten mehrerer Korkeichen. Gorazd und die beiden Kroaten beenden ihre Pause sehr schnell und gehen winkend an mir vorbei. Als ich mich wieder auf den Weg mache, trifft mich die Sonne mit aller Wucht. Augenblicklich fühle ich mich unglücklich und allein. Offensichtlich bin ich das Schlusslicht heute. Abgehängt. Die Sierra erscheint unwirtlich. Meine Haut brennt und wirkt gerötet. Ich streife meine Armsleeves über, um mich vor der Sonne zu schützen. Kein Mensch weit und breit. Der Schatten unter den Korkeichen ist spärlich, es gibt wenig Sitzmöglichkeiten. Ich brauche viele Pausen und lasse mich im Staub nieder, ziehe immer wieder Schuhe und Strümpfe aus, mein Rucksack hat jetzt schon eine bräunliche Patina. Es ist mir egal.

Dann endlich der Kalvarienberg, kurz vor Almadén de la Plata. Der Anstieg ist kurz und heftig und ich male mir schon im Aufsteigen mit Schrecken den Abstieg aus, der endlos scheint. Als ich endlich im Dorf unten ankomme, irre ich entkräftet auf der Suche nach der privaten Herberge La Casa del Reloj hin und her. Angeblich ist die Herberge am zentralen Platz. Ich frage in mehreren Bars und werde hin und wieder zurückgeschickt. Irgendwann erbarmt sich eine Frau und führt mich direkt bis an die unscheinbare Tür.

Die Herbergswirtin wohnt nebenan und empfängt mich freundlich, ist aber gerade beschäftigt. Sie lässt mich schon mal rein und ich bin hingerissen von der schönen Ausstattung, den alten Holztüren und selbst gebauten Stockbetten, auf denen man auch im unteren Bett aufrecht sitzen kann. Ich bekomme sogar noch ein Einzelbett im Viererzimmer. Die beiden Kroaten haben sich hier auch niedergelassen und stellen sich als Goran und Yaseminca vor. Als ich wenig später aus der Dusche komme, liegen auf dem vierten Einzelbett neben mir auch ein paar Klamotten. Ich sehe am Rucksack, dass es Gorazd sein muss, der angekommen ist. Wir übernachten nun schon den dritten Tag in der gleichen Herberge und ich freue mich über ein wenig Beständigkeit beim Unterwegssein.

Ein augelassener Besuch in der Bar mit Gorazd, Goran und Yaseminca löst das Schweigen des Tages auf. Müde, aber zufrieden falle ich schon früh ins Bett und bekomme gerade noch mit, dass Gorazd offenbar über unseren Herbergswirt jemanden gefunden hat, der ihm sein Handy, das seit Tagen aus unerfindlichen Gründen gesperrt ist, wieder in Gang bringen soll. Dann hat mich Morpheus.

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