Dem Prozess vertrauen

…. oder wofür mache ich das eigentlich?

Bei jedem Projekt kommt unweigerlich irgendwann die Frage nach dem Sinn des ganzen auf. Zwischenzeitlich bin ich bei Tag 10 meiner vierzigtägigen grünen Fastenkur angelangt. Und um es gleich vorwegzunehmen: Ich fühle mich pudelwohl. Die ersten Detox-Krisen wie Kopfschmerzen und Müdigkeit sind Geschichte, das Verlangen nach Kaffee und Zucker packt mich kaum noch. Ich schlafe wie ein Baby und wache morgens frisch und ausgeruht auf, berste vor Energie, meine Haut leuchtet und meine Stimmung ist gelöst. Im Supermarkt sehe ich nur noch Grün, alles andere ist uninteressant geworden. Ich war eh schon immer ein Gemüsefan und Grün ist meine Lieblingsfarbe.

Und auf einmal passiert es. Da flüstert mir irgendwer, zehn Tage seien doch genug, schließlich hätte ich mein Ziel erreicht. Jetzt könnte ich mir doch mal einen Kaffee genehmigen. Außerdem ist in einer Woche Ostern, da darf es doch auch mal ein Festessen sein. – Wenn es dem Esel zu wohl wird, dann geht er eben aufs Eis.

Dieser Vorgang ist mir wohlbekannt. Als Kundalini Yogini bin ich es gewohnt, eine bestimmte Übungsfolge (Kriya) oder eine Meditation über den Zeitraum von vierzig Tagen zu üben. Nach zahlreichen vierzig Tagen habe ich inzwischen auch gelernt, dass der Moment, in dem man die Sinnfrage stellt, unausweichlich und mit hundertprozentiger Sicherheit kommt. Und zwar immer genau dann, wenn man aus dem Gröbsten raus ist.

Der spanische Jakobsweg von St.-Jean-Pied-de-Port nach Santiago de Compostela ist für mich immer ein Sinnbild, wenn ich keine richtige Antwort auf meine Fragen finde. Denn der Pilgerweg symbolisiert die inneren Prozesse während einer Veränderungsphase. Auf dem ersten Abschnitt bekommst du es mit deinem Körper zu tun. Der muss sich erst einmal an die Anstrengung, das lange Gehen mit schwerem Gepäck, gewöhnen. Im zweiten Abschnitt hast du es mit deinem Denken und Fühlen zu tun. Auf dem Camino Francés spiegelt die Meseta, die spanische Hochebene zwischen Burgos und León genau die Abgründe inneren Erlebens wider. In dieser Landschaft gibt es keine Ablenkung. Hitze oder auch Kälte und der trockene Wind, der über die Ebene fegt, können unerbittlich sein. Der Horizont ist unendlich und das Auge kann sich nirgends festhalten. So wird man ganz automatisch auf sich selbst geworfen. Im dritten Abschnitt des Weges schließlich bist Du bereit, dich dem großen Plan hinzugeben. Das Ego tritt zurück und du fühlst dich einverstanden mit allem, was ist. Diesen Prozess nennt man auch „persönliches Wachstum“.

Als ich den Camino Francés zum ersten Mal allein gegangen bin, kam die Sinnfrage etwa zehn bis zwölf Tage, nachdem ich losgelaufen war. Ich hatte mich an das lange Gehen und die Schlafsäle in den Herbergen gewöhnt. Ich konnte morgens im Dunkeln nach meinen Sachen greifen und auf leisen Sohlen den Raum verlassen, ohne irgendetwas zu vergessen oder die Pilgerfreunde in ihrem Schlaf zu stören. Ich hatte eine Camino-Familie gefunden, ein paar Mitpilger, mit denen ich mich immer wieder in den Herbergen verabredete. Ich wusste, wie es läuft. Alles wiederholte sich: Gehen, Essen, Schlafen, Weitermachen. Und auf einmal wurde mir klar, dass ich das wohl noch vier bis fünf Wochen so würde machen müssen, um in Santiago anzukommen. Bumm! Da war sie. Die Frage nach dem ‚Warum‘.

Damals erschien es mir viel schwieriger, einfach umzukehren und wieder nach Hause zu fahren. Also ging ich einfach weiter. Irgendwann hörte ich auf damit, den ganzen Weg in Frage zu stellen, nur weil es gerade mal regnete, mir die Füße weh taten, ich einfach mal wieder in einem Bett mit frischen Laken schlafen oder mich mit einem Frotteehandtuch abtrocknen wollte. Ich packte einfach jeden Morgen meinen Rucksack und ging los, ganz im Vertrauen darauf, dass ich irgendwann, spätestens am Ende meiner Pilgerreise, bestimmt wüsste, wofür ich es gemacht habe.

An diese Situation erinnere ich mich immer dann, wenn ich Gefahr laufe, aufs sprichwörtliche Glatteis zu gehen. Ich entscheide mich dafür, dem Weg zu folgen im festen Vertrauen darauf, dass ich ankommen werde. Und deshalb lasse ich Kaffee und Kuchen auch weiterhin stehen und gehe vermutlich nun stramm in Phase 2 meiner Fastenkur, meine innere Meseta sozusagen.

Bis bald an dieser Stelle. – Und bleibt ges:-)nd!

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