Es heißt, ein guter Tag beginne am Morgen, doch heute beginnt mein Tag ganz und gar nicht mit der Aussicht auf ein gutes Ende. Ich fühle mich an diesem dritten Morgen unserer Pilgerreise auf der Via Regia gerädert. Die dreißig Kilometer vom Vortag haben sich bleischwer an die Beine geheftet, ich bin fast ein bisschen übellaunig. Das Frühstück in der Pension „Zum Echten“ lässt kaum einen Wunsch offen. Doch danach würde ich mich am liebsten aufs Ohr legen. Aber es hilft ja nichts. Als Pilger musst du eben einfach weiter.
Bernd geht schon mal munter voraus, ich trabe etwas missmutig hinterher. Wir holen heute eine kurze Stadtbesichtigung nach, das haben wir gestern nicht mehr geschafft. Eine schöne Stadt, ohne Zweifel. Aber Bautzen steht in meinem Kopf für Stasi und politische Haft und überhaupt – ja, es ist nicht ungerecht – ich möchte einfach nur raus, weitergehen. Das hat schon immer gegen schlechte Laune geholfen. – „Es wäre alles besser, wenn man mehr ginge“ hat schon Johann Gottfried Seume gesagt, ob auf seinem „Spaziergang“ von Leipzig nach Syrakus oder anderswo. Die positiven Wirkungen des Gehens habe ich schon oft erfahren. So auch heute. Kaum sind wir raus aus der Stadt und zurück auf der Landstraße, kommt mein Kreislauf wieder in Schwung, und die Welt sind wieder ein bisschen fröhlicher aus.
Wir gehen über Salzenforst nach Uhna, von dort nach einer kurzen Rast mit Ausblick auf die dortige Pilgerherberge zum Milleniumsdenkmal, das katholische Sorben hier als Geschenk für den christlichen Glauben errichtet haben. Die Draußen-Kirche setzt den Sklaven-Aposteln Cyrill und Mothodius ein Denkmal. Zugegeben: Ich habe von den beiden noch nie was gehört, aber für die Sorben scheinen die beiden als Verkünder des Christentums heilig zu sein. Wir haben ein heiliges Bedürfnis nach Rast, also verbringen wir dort eine ganze Weile.
Weiter geht’s über eine schöne Alleenstraße, auf der Bäume mit Bildstöcken wechseln, die Ortsschilder sind zweisprachig. Sorben-Land. Die Kirchen sind auf diesem Teil des Weges besonders prächtig, in Storcha gönnen wir uns noch eine Pause.
Schon einen Kilometer vor Crostwitz bereitet uns ein Schild auf eine ganz besondere Einkehrmöglichkeit für Pilger vor: die Pilgeroase von Monika Gerdes. Vor dem Haus steht ein Blechpilger, es ist also gar nicht zu verfehlen. Ein Schild weist darauf hin, dass es hier Kaffee und Tee für Pilger gibt. Thermoskannen und Kekse stehen da, auch wenn Monika Gerdes selbst nicht vor Ort ist. Aber wir haben Glück. Heute ist sie zu Hause und lädt uns auf Tee und Kuchen ein. Leider müssen wir bald weiter, weil wir bis halb fünf im Kloster St. Marienstern sein sollen. Leider bietet das Kloster keine Pilgerunterkunft mehr, wir bezahlen also den Preis für ganz normale Klostergäste. Das Geld, so haben wir am Vortag erfahren, sollen wir genau abgezählt mitbringen.
Ein ganz besonderes Highlight steht heute noch an. Ich bin dort im Kloster mit einer Freundin aus Kindertagen verabredet. Über Facebook hat sie mitbekommen, dass wir ganz in ihrer Nähe sind. Und so sehen wir uns ganz spontan nach 45 Jahren wieder. Bernd gibt uns Mädels ein bisschen Zeit, damit wir uns die wichtigsten Stationen dieser langen Zeit erzählen können. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie leicht es manchmal fällt, nach so langer Zeit wieder anzuknüpfen.
Das Fazit für heute. Ein guter Tag mag am Morgen beginnen. Aber ein schlechter Morgen zieht nicht unbedingt auch einen schlechten Abend nach sich.
…schönes Land der Sorben…
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