Nach zwei Wochen Kontaktsperre, untermalt von den Nachrichten über Hamsterkäufe, über die vielen Erkrankten und Toten, über die verzweifelten Zustände in den Krankenhäusern und Menschen, die ihre Arbeit unter extremen Bedingungen bis an die Belastungsgrenze bringt, bin ich besonders berührt darüber, wie Menschen sich überall gegenseitig unterstützen, indem sie miteinander aus ihren Fenstern singen und klatschen. Es wird doch ganz deutlich, dass wir in der Not immer noch wissen, worauf es im Leben ankommt. Ich habe bisher nur wenige Menschen getroffen, die der Situation nur Negatives abgewinnen können.
Wir haben so lange auf Kosten des Planeten gelebt, uns wenig umeinander gekümmert, uns in Streitigkeiten verloren, anstatt die Dinge wirklich anzupacken. Das ganze „Müsste, Könnte, Sollte“ bekommt auf einmal eine ganz besondere Brisanz.
Für mich ganz persönlich bedeutet das, mich täglich zu fragen, wie ich mich hier und heute mit meinen Fähigkeiten einbringen kann, welchen Beitrag ich dazu leisten kann, dass wir diese Situation überstehen. Ich nehme mir sehr viel mehr Zeit für meine Freunde. Ich habe angefangen, mich virtuell zu verabreden, erkundige mich danach, ob es allen gut geht, weil ich es nicht mehr für selbstverständlich halte. Ich achte auf meine Nachbarn und frage nach, ob sie etwas benötigen. Ich stehe im Supermarkt geduldig an der Kasse an und finde auch noch die Kraft, mich bei der Kassiererin dafür zu bedanken, dass sie ihre Arbeit so selbstverständlich macht. Ich habe mich in meinem Heimatort auf einer Corona-Hilfe-Seite eingetragen, um Hilfebedürftige zu unterstützen. Es ist mir egal, ob die Frisur sitzt. Ich habe aufgehört, draußen eine Rolle zu spielen.
Auf dem Jakobsweg habe ich es auch so gemacht. Ich habe das Notwendige getan, immer und immer wieder: Gehen, Essen, Schlafen, Weitermachen.
Und doch: Dies ist ein neuer Weg. Ich bin noch nicht mit ihm vertraut und er ist manchmal etwas holprig. Hin und wieder falle ich in meine alten Verhaltensweisen zurück. Ertappe mich dabei, dass ich zu Hause in meinem Elfenbeinturm sitze und die Welt draußen nicht wahrhaben möchte. Wenn ich dann irgendwann Einkaufen gehe, bin ich beinahe befremdet, wenn ich mir Handschuhe überstreife und eine Maske vor’s Gesicht ziehe. Dann frage ich mich: Bin ich das wirklich? Ist das ein Traum?
Traum und Wirklichkeit scheinen ohnehin so manches Mal miteinander zu verschwimmen. Neulich wachte ich morgens auf und meinte, mich an eine Email-Korrespondenz mit einem Kunden zu erinnern. Das war völlig real. So real, dass ich zwei Stunden später vor meinem Rechner saß und verzweifelt diese Email gesucht habe. Die muss doch irgendwo sein … Ich weiß doch, dass ich die bekommen habe …
Also: Ich strauchle. Ich bin genervt von den vielen Menschen draußen auf den Feldwegen, wo Abstand halten unmöglich wird, wenn nicht jeder auf den anderen Acht gibt. Ich habe Panik, wenn ich an meine Ostereinkäufe denke: Wann soll ich losgehen? Kriege ich überhaupt alles? Muss ich das bisschen Gemüse, was ich brauche, tatsächlich vorbestellen? Wann gehe ich am besten Einkaufen, damit ich nicht ewig anstehe und noch was bekomme? Wann kann ich dann am Rechner sitzen, um meine Arbeit zu machen? Bringen die Gummihandschuhe was oder ist das Tragen von Handschuhen Schwachsinn, wie ich heute wieder gelesen habe? Auf welche Informationen kann ich mich überhaupt verlassen, wenn es ja doch eigentlich überhaupt keine verlässlichen Erkenntnisse über das Virus gibt?
Und da bin ich wieder bei dem ersten Schritt: Ich kann die Situation nicht ändern, aber ich kann in dem Tempo vorwärts gehen, das mir gerade gegeben ist. Auf dem Camino Francés, so heißt es, bekommst Du es als erstes mit Deinem Körper zu tun, danach mit Deinem Geist und dann mit Deiner Seele.
Bei mir war es so. Ich hatte zuerst mit meiner Beziehung zu meinen Mitmenschen zu tun. Das hat mich auf mich und meine Beziehung zu mir selbst zurückgeworfen. Und zum Schluss hab ich mich mit Gott auseinandergesetzt. Es ist tatsächlich für jeden anders. Aber das Ziel ist trotzdem immer dasselbe. Es geht ums Heilwerden, darum, etwas wieder vollständig werden zu lassen, was uns fehlt.
Ich denke, fürs Erste bin ich in der Corona-Krise gut beraten, wenn ich mir ein paar einfache Dinge vornehme und jeden Tag praktiziere:
- Ich beginne jeden Tag mit Gebet / Meditation.
- Ich nehme mir ausreichend Zeit für die Basics: Essen, Arbeiten, Schlafen, Weitermachen.
- Ich bleibe im – liebevollen – Austausch mit meinen Mitmenschen.
- Ich bin dankbar für das, was mir im Moment geschenkt ist.
Also allesamt Basics, von denen ich glaube, dass sie in jeder Situation zu einem guten Leben gehören; die ich aber selten wirklich bewusst und in aller Konsequenz praktiziere.
In drei Tagen melde ich mich an dieser Stelle wieder. Bis dahin bleibt gesund und „Buen Camino“!