Ich habe nach den 27 Kilometern durch den Sturm geschlafen wie ein Stein. Im Frühstücksraum von meiner Unterkunft, dem Domhof in Guntersblum, enthüllt sich noch ein anderes Geheimnis der wirklich tiefen Stille in der Nacht: Ich bin heute der einzige Gast. Die Feriengäste sind alle am Sonntag abgereist. Und richtig: Heute ist Rosenmontag.
Ich drehe noch eine Runde durch den Ort, kaufe mir vorsichtshalber noch zwei Brötchen – man weiß ja nie – schaue mir noch die Kirche an. Zwei imposante Türme und ein sehr schlichtes Schiff. Dann irre ich auf der Suche nach dem Einstieg auf den richtigen Weg noch etwas durch den Ort. Um 9 Uhr bin ich endlich richtig unterwegs.
Vierundzwanzig Kilometer nach Abenheim stehen heute an. Wieso nur habe ich das nicht anders geplant? Zwanzig hätten auch gereicht. Ich setze meine müden Knochen in Gang.
Heute ist Regen angesagt, eigentlich den ganzen Vormittag bis etwa vierzehn Uhr. Bisher ist es aber von oben noch leidlich trocken. Der Wind fehlt, die Aussicht allerdings auch. Den gegenüberliegenden Odenwald kann ich nicht erkennen, den Rhein auch nicht mehr.
Meine Laune bessert sich, als ich endlich in den Weinbergen die ersten zuverlässigen Wanderzeichen entdecke. Gleich drei, die mir ein Lächeln ins Gesicht zaubern: Jakobsweg, Lutherweg, Rheinterrassenweg. – Deutschland Wanderland. Okay, alles klar: Hier bin ich richtig.
Der Weg führt mich heute fast ausschließlich durch die Weinberge und zahlreiche Hohlwege, die Bewirtschaftung und Befahrung der Wege in den Lößboden getrieben haben. Schmunzelnd stelle ich mir Luther in seinem Rollwägelein vor, wie es im Schlamm steckenbleibt. Vermutlich musste er nicht selbst aussteigen, um das Gefährt wieder in Gang zu setzen. Oder doch?
In Alsheim bin ich noch ganz guter Dinge, auch wenn ich aus Versehen die Rheinterrasse verlasse und unsinnigerweise in den Ort hinab steige. Also das Ganze wieder zurück und aufgestiegen!
Vor Bechtsheim, meinem heutigen Bergfest, wird der Nieselregen penetranter. Der Wind auch. In Bechtsheim angekommen, könnte ich eine warme Suppe gut gebrauchen. Allein, es hat nichts auf. Nicht einmal die Bäckerei. Bis Osthofen sind es noch weitere fünf Kilometer, die Handschuhe sind nass und bringen nichts mehr. Nach vorne schauen ist auch eher kontraproduktiv, also kämpfe ich mich mit gesenktem Blick gegen Wind und Regen vorwärts. Der Abstieg nach Osthofen scheint endlos und ist auch da schon nicht mehr mit der Hoffnung verknüpft, ein warmes Plätzchen zu finden.
Immerhin: Der Ort besitzt eine Hohlwegumgehung, die mich vor dem Wind schützt. Und wie durch ein Wunder hört auch plötzlich der Regen auf.
Der Weg führt hinauf zur weithin sichtbaren evangelischen Kirche, die von einem riesigen Friedhof umgeben ist. Ich frage mich, wie in diesem kleinen Ort wohl so viel gestorben werden kann und denke noch, es wäre lohnenswert, mal zu schauen, wie alt die Gräber sind. Aber ich bin mürbe von der langen Wanderung und auch vom schlechten Wetter. Ich will jetzt einfach nur noch weiter.
Während ich die letzten Steigungen durch die Weinberge nehme, reißt auf einmal der Hinmel auf. Ich drehe mich um und sehe das Atomkraftwerk Biblis grotesk von der Sonne angestrahlt, als wäre das ein glanzvoller Ausblick. Weit vor mir erkenne ich die Michaelskapelle. Dort liegt auch Abenheim.
Ich habe den Verdacht, dass der Weg zugunsten des Skulpturenwegs einen kleinen Schlenker macht, der mir zur Kapelle hinauf abermals einen Anstieg beschert. Nun ja: Die „Wonnefreau“, die fröhlich auf ihrem Sockel sitzt und ins Tal schaut, ist es wert.
Das mache ich heute Abend auch. Zünftig Essen und lachend umherschauen.
Gute Reise!
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Danke. ☺️
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