Vilar de Barrio – Xunqueira de Ambía

Heute früh brauche ich eine Weile, bis ich mich aus meinem bequemen Bett mit duftender Wäsche geschält habe. Von unten aus der Küche höre ich einen weiteren Mieter, den mir meine Zimmerwirtin gestern angekündigt hat. Wir haben zu zweit ein ganzes Haus für uns. Ich halte ihn erst für einen Geschäftsmann, weil er im Vergleich zu meinem Aufzug wie aus dem Ei gepellt erscheint. Mein Spanisch reicht gerade so weit, dass ich irgendwann verstehe: Er ist auch ein Peregrino und er ist schon seit über vierzig Tagen unterwegs von Cádiz nach Santiago. Sein Name ist Fernando, und wir werden uns von jetzt an wohl noch öfter begegnen, denn unsere Etappenplanung bis Santiago ist identisch.

Ich habe heute einen sehr kurzen Weg vor mir, dreizehn Kilometer bis Xunqueira de Ambía, um genau zu sein.

Der Weg ist heute im wesentlichen flach. Ich durchquere die Ebene, die ich gestern von oben überschaut habe. Auf dem Weg aus Vila de Barrio hinaus überhole ich einen älteren spanischen Pilger. Er stellt sich mir als Arcangel (Erzengel) vor. Jedenfalls verstehe ich das. Ich grinse ein wenig in mich hinein. Fängt ja gut an, der Tag.

Der Weg führt mich durch mehrere Ortschaften, für die ich kaum einen Blick habe. Ich bin heute auf Autopilot. Meine Füße sind müde und mein Kopf auch. Irgendwann geht es eine gefühlte Ewigkeit auf einem Feldweg immer schnurgeradeaus. Vor mir niemand, weit hinter der spanische Erzengel.

Beinahe übersehe ich die Markierung, wo der Weg endlich nach rechts auf eine andere Piste abbiegt. Nach zwei Stunden erreiche ich Bobadela und gönne mir in der dortigen Bar eine Tee- und Eispause. Kurze Zeit später gesellt sich Arcangel dazu und ich freue mich über die willkommene Ablenkung von meinen eigenen Gedanken. Heute ist einer der Tage, an denen ich mich frage, was zum Teufel ich eigentlich auf diesem Weg mache.

Arcangel weiß es für sich ganz genau. Er hat drei Enkelkinder und möchte den Apostel um Schutz für die drei Kleinen bitten. Stolz zeigt er mir Fotos von den dreien.

Nach einem kleinen Schwatz mache ich mich wieder auf den Weg und erreiche nach einer guten weiteren Stunde die öffentliche Herberge von Xunqueira. Wirkt auf mich ein bisschen wie ein Ghetto. Die Herberge ist außerhalb, die Tür ist offen, aber niemand da. Es riecht nach Schwimmbad. Ich werde einen Blick auf die Betten. Keine Bettbezüge, alte Matratzen. Ein Aushang weist darauf hin, dass um 20 Uhr jemand kommen wird, um das Geld für die Übernachtung einzusammeln. Sofort wird mir klar: Hier bleibe ich auf keinen Fall.

Allerdings gibt mein Pilgerführer keinen Hinweis auf eine andere Unterkunft. Zögerlich laufe ich ins Dorf hinunter. Die Alternative wäre, heute wieder eine Etappe von 34 Kilometern zu gehen. Das schaffe ich wohl nicht.

Am Dorfplatz frage ich einen Mann nach einer Unterkunft und kann mein Glück kaum fassen, dass er anscheinend eine Idee hat. Er geht mit mir bis hinein in die Pension von Tomás und fragt dort für mich. Tomás hat ein Bett, kein Stockbett, sondern ein richtiges Bett in einem 4-Bett-Zimmer. Sehr sauber, Bettwäsche, alles neu renoviert, in einem schönen Natursteinhaus. Mehr noch: Ich kann auch gleich was zu Essen haben und mich dann im Garten hinter dem Haus ausruhen. Ich kann mein Glück kaum fassen und bedanke mich überschwänglich.

Fernando ist übrigens auch schon hier, genauso wie Hernon und Ilona aus Holland.

Den Thunfisch, der sich auf meinen Salat verirrt hat, verfüttere ich an die trächtige Katze des Nachbarn. Das Leben ist heute gut zu einer müden Pilgerin.

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