Es geht immer weiter

Tag 7: Colunga – Oviedo (60 km it dem Bus)

Irgendwann kommt wohl auf jedem Pilgerweg der Tag, an dem du morgens aufwachst und dich fragst, warum du das alles machst. Und an dem du darauf keine Antwort findest. So einen Tag habe ich heute.

Der Tag beginnt ungewöhnlich für ein Pilgerdasein. Ich schlafe lange, gehe am Strand spazieren, frühstücken im Hotel. Ich muss Zeit totschlagen, bis um 11:30 Uhr der Bus fährt, der mich nach Villaviciosa bringt. Von dort fahre ich mit dem nächsten Bus nach Oviedo. 

Gestern Abend habe ich mich von meinem Pilgerfreund Alex aus Madrid verabschiedet. Wir haben Telefonnummern ausgetauscht, und er hat mir angeboten, dass ich ihn anrufen kann, wenn ich in Schwierigkeiten stecke. Sehr nett.

Ab heute bin ich also wieder allein auf mich gestellt. Die anderen Pilgerfreunde, Troos aus Südafrika, Daniel aus Transylvanien (wirklich!), ein Ire und ein Italiener, deren Namen ich nicht kenne, sind der Himmel weiß wo. Allein pilgernde Frauen hab ich noch nicht kennengelernt, aber es gibt sie.

Der Primitivo, der für mich unbekannt ist, schüchtert mich ein wenig ein. Das Angebot an Herbergen ist nicht üppig. Die Etappen sind lang und streckenweise voll knöcheltiefem Matsch. Zum ersten Mal fühle ich mich der Herausforderung psychisch nicht mehr gewachsen. Und obwohl ich gerne draußen allein unterwegs bin, muss ich feststellen, dass mir die Gemeinschaft der Pilger, wie man sie auf dem Frances – manchmal bis zum Überdruss – hat, hier fehlt. Die Großstadt Oviedo ist erfahrungsgemäß nicht geeignet, mir meine Sicherheit in Sachen Zugehörigkeit wieder zurückzugeben.

Immerhin, beim Umsteigen in Villaviciosa erfahre ich, dass ich unter Menschen bin. Ich hab ein dringendes Bedürfnis, das sich keine ganze Stunde – so lange dauert die Fahrt nach Oviedo -, aufhalten lässt. Der Busfahrer, eh schon mit Verspätung, erklärt sich selbstverständlich bereit zu warten. In Deutschland wäre mir nicht einmal in den Sinn gekommen, so eine Frage überhaupt zu stellen.

Der Bus schraubt sich hoch in die Berge, vorbei an Valdedios, dem Tal der Götter. In der Ferne sieht man die immer noch Schnee tragenden Gipfel der Sierra de Cantabria.

In Oviedo  versuche ich, in der privaten Herberge unterzukommen. Fehlanzeige. Sie ist wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Ein Hostal soll es in der Innenstadt auch geben. Ebenfalls keine Chance. Die Telefonnummer gibt es nicht, auf Klingeln öffnet auch niemand, und das Schild an der Klingel ist auch abmontiert. Die Touristeninfo um die Ecke weiß darüber nichts und empfiehlt auf die Frage nach Pensionen ein paar ****Hotels. Also laufe ich in Richtung Bahnhof zurück. Dort habe ich eine äußerlich arg heruntergekommene Pension gesehen.

Entschlossen klingle ich. Das Treppenhaus ist schon mal sehr gepflegt. Es öffnet ein älterer gediegener Herr. Von der Rezeption schaut man in sein privates Wohnzimmer, in dem sich ein Flügel befindet. Das Zimmer ist ultrasauber und kostet mich 21 Euro. Mein Vermieter sieht die Gelegenheit, seiner Enkelin ein wenig Praxis in Englisch zu verschaffen. Sie darf mir ein paar Besichtigungsempfehlungen geben und auch ein paar Tipps fürs Mittagessen auf dem Bulevar del Sidre, der Apfelwein-Meile. Der Apfelwein ist nämlich nicht nur in Hessen, sondern auch in Asturien eine Spezialität. Hier perlt er mehr und muss, vermutlich aus Gründen der Aroma-Entwicklung aus großer Höhe ins Glas eingegossen werden. Alex meint allerdings, dass das Einschenken einen viel höheren Show-Effekt hat. Sieht jedenfalls sehr beeindruckend aus. Etwa ein Drittel des Getränks ergießt sich dabei, selbst bei Profis auf die Gasse, weil das Glas eben andererseits auch wieder nicht tief genug ist, um die Flüssigkeit aus großer Höhe aufzunehmen.

Für Vegetarier ist die Essensauswahl in Asturien nicht gerade üppig. Ich entscheide mich für Fabada, eine Suppe aus weißen Bohnen, die nicht wirklich vegetarisch ist, weil sie auf der Basis eines Fleischfonds gemacht ist. Dann gibt es frittierte Auberginenscheiben mit Käse und Schinken, so eine Art Cordon-Bleu auf Auberginenbasis. Das ist das einzige „Gemüse“, das heute auf dem Speiseplan steht. Danach muss ich mir eine Parkbank für die Siesta suchen.

Für heute habe ich genug. Ich trödele nur noch ein wenig durch die Stadt und freue mich aufs Draußen-Sein morgen.

Und dennoch, eins habe ich heute gelernt: Es geht immer weiter. Ob nun zu Fuß oder mit dem Bus.

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