Der Mai naht, der Raps blüht und ein verlängertes Wochenende steht bevor. Ich habe eine dreitägige Tour auf dem Lutherweg geplant, und meine Freundin Barbara hat sich kurzfristig angeschlossen. Für sie ist es die erste Pilgertour, aber sie ist eine erfahrene und geübte Wanderin.
Wir sind am Morgen mit der Bahn nach Hungen, im Kreis Gießen, angereist und möchten in drei Tagen auf dem Lutherweg nach Alsfeld laufen.
Nach der zweistündigen Anreise stärken wir uns erst einmal im Café am Marktplatz, das sich auch etwa zwanzig ältere Damen und gestandene Funktionsgymnastikerinnen für Ihre Jubiläumsfeier ausgesucht haben. Der Geräuschpegel von zwanzig munter schwatzenden Turnerinnen ist enorm.
Wir laufen erst einmal los. Leider erst einmal für eine gute halbe Stunde in die falsche Richtung, wie sich herausstellt. Wir merken es in Trais-Horlof, am Inheidener See. Also wieder zurück. Barbara trägt es mit Fassung.
Das Schäferstädtchen Hungen macht einen wirklich netten Eindruck, und die Käsesscheune, in der Käse nicht nur hinter Glas hergestellt wird, sondern wo man sicher auch gut essen kann, hätte uns gelockt. Allein, es ist schon Mittag und wir sind noch keinen Meter vorangekommen. Und wir haben 26 Kilometer vor uns. Wir sparen uns den Hunger also bis Nonnenroth auf.
Das rettende Kirchlein von Nonnenroth sehen und erreichen wir gegen halb zwei. Leider gibt es im Ort nur ein Restaurant, und das öffnet erst am Abend.
Zum Glück haben wir noch eine Notration Essen dabei und picknicken an der Kirche, neben Martin Luther persönlich, der gemeinsam mit uns ins Tal schaut.
Gestärkt gehen wir weiter tapfer in Richtung Grünberg, das noch etwa siebzehn Kilometer entfernt ist. In Röthges fragen wir nach geöffneten Restaurants und schauen auch mal auf dem Busfahrplan. Alles Fehlanzeige. Hier gibt’s nichts. Keinen Bus am Samstag, kein Restaurant, keinen Laden. Immerhin: Der mobile Bäcker aus Hungen soll gerade im Ort unterwegs sein.
Am gemeinschaftlichen Dorfbackhaus werden gerade Bänke aufgestellt und der Ofen vorgeheizt. Wir schöpfen Hoffnung. Immerhin bekommen wir ein Radler angeboten und auch den Hinweis, dass wir es doch mal mit dem Mit-Fahr-Bänkchen versuchen sollen. Was das ist? – Der ganze Kreis hat solche Bänkchen eingerichtet. Man setzt sich hin und wartet darauf, dass man mitgenommen wird. Es wurde aber noch nie beobachtet, dass da einer sitzt. Also probieren wir es doch mal aus!
Es kommen nicht viele Autos vorbei. Die meisten sind gnadenlos voll besetzt oder bis unters Dach beladen mit Heimwerkerbedarf. Eine Frau würde uns mitnehmen, will aber nicht nach Grünberg. Nach zwanzig Minuten haben wir Glück: Ein junges Pärchen sammelt uns auf. Sie ist Grünbergerin und gibt uns noch den Tipp, dort im Märchen-Café einzukehren. Sie fahren uns in Grünberg direkt bis zum Marktplatz. Dort üben wir erst mal wieder den Einkehrschwung.
Gute zwölf Kilometer haben wir uns mit der Tramperei gespart. Die letzten acht Kilometer bis Mücke sind ein Pappenstiel. In Mücke angekommen haben wir immerhin 26 Kilometer auf Barbaras Apple Watch. – Ich glaube, es waren eher knapp über zwanzig. Wie auch immer: Wir sind rechtschaffen müde.
Das Paradies beginnt schon einige Meter vor dem Landhotel: ein gut sortierter Rewe-Markt mit Proviant für den nächsten Tag. Man lernt ja dazu!
Im Hotel werden wir mit Pilgerstoff versorgt und mit allerfeinstem Spargel. Mehr wollen wir heute nicht mehr.
Die Bilanz des Tages: Jede Menge Spaß, hilfsbereite Menschen und das gute Gefühl, dass immer was geht.