Der Pilgerweg ist erst im Lutherjahr 2017 eröffnet worden und verbindet auf einer Länge von etwa 360 Kilometern Worms mit Eisenach. Und das muss ich mal sagen: Er ist hervorragend ausgezeichnet! Die meisten Einheimischen kennen ihn auch und sind irgendwie stolz auf ihren Weg.
Die Etappe von Mücke nach Groß-Felda führt uns erst einmal im Zickzack durch saftig grüne Wiesen und Weizenfelder, die durchbrochen sind vom leuchtenden Gelb der blühenden Rapsfelder. Wir sehen keinen Menschen. Es ist still, man hört Vogelstimmen und ab und an Motorgeräusche von der entfernten Straße. Sonst nichts.
Jetzt, am zweiten Tag bin ich wieder berauscht und glückselig vom Gehen. Der Alltag zu Hause scheint schon wieder so weit weg.
Wir kommen nur langsam voran, bleiben hin und wieder stehen, das Wetter ist wechselhaft, wir streifen die Regen-Ponchos über, ziehen sie wieder aus, ich kämpfe ein wenig mit meinem Mehrzweck-Regenschutz, den man auch zu einem Tarp umbauen kann. Die Funktionalitäten muss ich mir wohl noch von meinem Outdoor-Ausrüster erklären lassen. Allein bis Ruppertenrod, etwa sechs Kilometer von Mücke, brauchen wir mehr als zwei Stunden. Aber das ist egal. Wir sind beide offen für eine Bus- oder Taxifahrt, falls die Kraft am Ende nicht reicht.
In Ober-Ohmen möchten wir unsere Mittagsrast machen. Genau zum richtigen Zeitpunkt kommt die Sonne heraus. Der Pfarrer Markus Witznick hat uns an der Kirche stehen sehen und eilt mit dem Schlüssel herbei. Wir bekommen eine kleine Führung durch die Kirche. Ober-Ohmen war früher der Zentrale Kirchenort, im Chorturm hat man mittelalterliche Fresken freigelegt.
Wir tragen uns ins Gästebuch ein und sind eingeladen, uns aus dem Gemeindezentrum Stühle für unsere Rast im Garten zu holen.
Von Ober-Ohmen geht es hinauf auf den Grauen Berg, wo sich die Windräder munter drehen.
Dann gehen wir abwärts nach Ermenrod und hoffen auf eine Einkehr im „Froschkönig“
Zwei alte Damen sitzen an der Hauptstraße im Vorgarten zum Plausch. Wir fragen, ob der „Froschkönig“ wohl auf hat. Wieder Fehlanzeige! Am Sonntagnachmittag um halb vier ist auch hier „tote Hose“. Wir hatten uns so auf ein kühles Getränk gefreut. Ich frage, ob sie uns was aus ihrem privaten Bestand verkaufen wollen. Daraufhin bekommen wir kühles Radler und auch zwei Stühle angeboten, die aus dem Haus geholt werden. Wir setzen uns dazu, in den Vorgarten an der Hauptstraße, und haben ein sehr nettes Gespräch mit den beiden Frauen, die beratschlagen, wie wir wohl am besten nach Groß-Felda kommen. Der „Promilleweg“ ist im Gespräch oder auch der Vorschlag, uns mit dem Auto hinzubringen. Es ist eine der Begegnungen, die unseren Weg so besonders machen.
Der Straße nach sind es jetzt nur noch drei Kilometer bis zu unserem Etappenziel. Ich habe noch nicht genug vom Gehen, Barbara schon. Verständlicherweise. Blasen an den Füßen machen sie mürbe. Aber sie hat eine gute Idee. Sie geht die Abkürzung an der Straße entlang nach Groß-Felda. Nur noch drei Kilometer sind auch für mich verlockend, und doch freue ich mich auch über die Gelegenheit, noch ein wenig allein zu wandern. Wir trennen uns also, sie geht an der Straße entlang, ich den Lutherweg über Schellnhausen, noch etwa sieben Kilometer. Wieder steil auf und bergab.
Der Lutherweg führt nicht direkt durch Groß-Felda, aber es gibt von Schellnhausen aus einen Wirtschaftsweg, auf dem ich in die Stadt gelange. Ich vermute, es ist der oben erwähnte Promilleweg. Den Abzweig zum Wirtschaftsweg habe ich verpasst, wie ich oben am Waldrand feststelle. Eine Umkehr wäre jetzt kein Gewinn, also gehe ich über den Berg durch den Wald wieder nach unten. Nach etwa anderthalb Stunden treffe ich in unserer Unterkunft ein, Barbara hat schon alles geregelt. Wir freuen uns aufs Abendessen.
Die Bilanz auch dieses Tages: Es gibt immer einen Weg.