
Sich für eine Pilgerreise zu entscheiden ist ein großer Schritt. Ende Mai mache ich mich auf meinen Weg von St. Jean-Pied-de-Port nach Santiago de Compostella. Diese Reise beschäftigt mich seit etwa einem Jahr. Ich glaube, so lange habe ich mich noch nie auf einen Weg vorbereitet.
Vor Jahren war ich schon einmal auf diesem Weg. Damals eher spontan und ohne ein klares Ziel. Es hat mich einfach gerufen. Ich hatte damals den Traum, einmal in meinem Jahresurlaub einfach mit dem Nötigsten aus meiner Haustür herauszutreten und loszugehen. Was mich damals wirklich gerufen hat, weiß ich bis heute nicht. Es war eine Sehnsucht. Vielleicht die Sehnsucht, bei mir anzukommen. Ich weiß noch genau, wie ich im Pilgerbüro damals den Fragebogen ausgefüllt habe. Die Begründung meiner Reise „aus sportlichen Gründen“ schien mir noch das Zutreffendste.
Heute weiß ich: Meine Sehnsucht ist spiritueller Natur – und das war sie wohl auch damals schon. Ich habe eine Sehnsucht, die sich immer wieder in meinen Träumen bemerkbar macht: Ich möchte „nach Hause“, möchte bei mir ankommen.
In den letzten Monaten bringen sich meine inneren Themen mit aller Macht ins Bewusstsein und konfrontieren mich. Bislang unerfüllte Wünsche, das Miteinander im Alltag, eine latente Nachlässigkeit in finanziellen Angelegenheiten. All das taucht plötzlich und unerwartet aus der Tiefe meiner Seele auf und lässt mich manchmal beinahe mutlos werden. Dann beginne ich mich zu fragen, ob ich mir nicht viel zuviel vorgenommen habe. Und doch: Es ist genau wie auf dem Weg: Du gehst einfach immer voran, Schritt für Schritt.
Ja, ich habe Ängste, wenn ich mich allein auf den Weg mache. Auf dem Weg hast Du keine Ablenkung. Du hast nur das Allernötigste dabei und musst vieles zurücklassen, was Dir lieb geworden ist. Du lieferst Dich aus. Und Du bist ganz auf Dich selbst und Deine Ressourcen angewiesen. Und auf die Gnade des Getragenseins durch das, was ich heute unbefangen ‚Gott‘ nennen kann.
Dein eigenes Gepäck musst Du selbst schleppen. Und da ist es gut, wenn Du im Vorfeld das aussortierst, was Dich auf dem Weg nur beschwert oder behindert. All die festgefahrenen Verhaltensweisen, das vorschnelle Treffen von Entscheidungen sind ein Aufbegehren des Egos, das so gerne die Kontrolle übernimmt. Das ist möglicherweise manchmal sinnvoll im schnelllebigen Alltag. Aber auf dem Camino musst Du Dir genau überlegen, ob Du nicht besser in der demütigen Haltung des Aspiranten losgehst. Der Camino fordert Dich auf, altes loszulassen, damit Platz für etwas Neues entsteht. Ich denke, mein Rucksack wird sehr leicht werden.