Tag 23: Villanueva de Campeán – Zamora (13.06.2022)

Was wird der Weg bringen? Welche Richtung will ich künftig einschlagen? Wie geht es für mich weiter? – Das sind Fragen an das Leben, die viele sich stellen, bevor sie sich auf den Pilgerweg machen. Man ist zu Hause festgefahren im Alltag, man hat die Orientierung verloren. Weil man sich aus der Fülle des Alltäglichen nicht aus einer vielleicht nicht einmal erkannten Krise befreien kann, macht man Tabula Rasa und löst sich von allem, was einen davon abhält, zu sich selbst zu kommen. Man verabschiedet sich von dem Gewohnten, von der einlullenden Bequemlichkeit, und geht hinaus in die Fremde.

Genau so bin auch ich auf diesen Weg gegangen und finde seit drei Wochen keine Antworten auf meine Fragen. Doch früher oder später löst der Weg sein Versprechen ein. Und manchmal merkt man es erst im Rückblick.

Als ich heute früh aus dem Schlafsaal in die Küche komme, sitzt Gabor schon abmarschbereit da. Unser Freund Gabor, der gerne so lange schläft. Ich spüre sofort, dass es ihm ernst ist. Er wird heute eine doppelte Etappe gehen. Wir werden uns also vielleicht nicht wiedersehen. Ich wünsche ihm Glück und alles Gute für sein Leben. Er erwidert die Wünsche, und wir beide wissen, dass dies wirklich ein Abschied für vielleicht immer ist. Es ist schon seltsam, wie bedeutungsvoll ein Abschied auf dem Weg nach nur drei Wochen sein kann. Aber ich teile seine Vorfreude auf einen neuen Abschnitt seiner Reise.

Die heutige Etappe ist mit achtzehn Kilometern sehr kurz und landschaftlich ansprechend. Meseta „at its best“. Dennoch tut sich wie aus dem Nichts eine Gefühlwelt auf, die mich verwirrt und auch ein bisschen ratlos macht. Ich bin heute traurig, geradezu unglücklich und fühle mich zurückgelassen und vergessen. Es ist allerdings eine Traurigkeit, die mich beinahe schon von Anfang an auf diesem Weg begleitet. Dabei bin ich keineswegs allein. Der slowenische Pilgerfreund ist wie üblich nach mir gestartet und holt mich nach zwei, drei Stunden ein. Er ist der Ansicht, dass man auf dem Weg alte Gefühle ausschwitzt und sich reinigt. Ich bin dankbar, dass er nicht versucht, mir meine Erfahrung auszureden und fühle mich verstanden. Und ich bin froh, einen guten Begleiter an der Seite zu haben. Es braucht eben ein wirkliches Gegenüber, damit man sich selbst ein bisschen besser versteht. Ich weiß jetzt schon, dass ich zu Hause etwas werde ändern müssen. Auch wenn ich das noch nicht wahrhaben möchte.

Am Brocal de las Promesas teilen wir uns ein paar Kekse und Mandarinen. Das Denkmal für Frieden und Religionstoleranz wurde von der Asociación de Amigos del Camino de Santiago de la Vía de la Plata dort errichtet. Es besteht aus drei Stein-Monolithen von je vier Metern Höhe und einem Brunnen, in dem die Pilger, wie ich später erfahren habe, ein Gelübde ablegen sollen und zum Zeichen ihres Anliegens einen Stein versenken können. Leider ist der Brunnen ausgetrocknet und ganz offensichtlich auch zuletzt mit einem Mülleimer verwechselt worden.

Auf dem Asphalt werden meine durchgelaufenen Absätze geschwätzig und fühlen sich schwammig an. Als wir in den Vororten anzukommen habe ich es eilig, einen Schuster zu suchen, der meine Schuhe repariert. Ich finde einen, der mir innerhalb einer halben Stunde eine erstklassige Reparatur mit Vibram-Material für nur vier Euro macht. Als ich ihm fünf gebe, will er das Trinkgeld gar nicht annehmen. Es sei sein Beruf, meint er, und zuckt ob meiner Begeisterung nur mit den Achseln. Die Absätze halten bis heute und werden vermutlich auch weit über den Dezember 2022 hinaus ihren Dienst tun.

Die Donativo-Herberge in Zamora, die direkt an der Stadtmauer liegt, wird von ehrenamtlichen Hospitaleros betreut. Aktuell kümmert sich ein Rentner-Ehepaar aus Sevilla dort um das Pilgerwohl. Wir bekommen eine Gazpacho zur Begrüßung und auch ein Vierbettzimmer für uns. Der Erfolg der Schuhreparatur hat mich mutig gemacht. Ich ziehe noch einmal los und versuche ein paar Kompression-Sleeves zu bekommen und werde nach einiger Zeit tatsächlich fündig. Ich bin gespannt, ob es sich damit leichter geht.

Der Tag endet unaufgeregt in einer aufgeräumten und ruhigen Stadt. Die Schatten vom Morgen sind verschwunden. Zamora gefällt mir.

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