Tag 14: Casar de Cáceres – Cañaveral (04.06.2022)

Das Aufwachen am Morgen in der kleinen voll belegten Herberge von Casar ist hektisch. Bereits um halb fünf bemerke ich, dass sich die Französin im Bett an der Wand gegenüber darum bemüht ist, sich so leise und geräuschlos wie möglich aus dem Schlafanzug zu quälen. Wenn ich von mir auf andere schließen darf, dann gibt es zwei Motive dafür: Zum einen versucht man natürlich, so rücksichtsvoll wie möglich zu sein. Zum anderen möchte man aber nicht mit dem ganzen Schlafsaal um die wenigen Sanitäreinrichtungen konkurrieren; also versucht man möglichst vor allen anderen auf leisen Sohlen zur Toilette zu schleichen. Gleiches Spiel in der kleinen Küche, in der kaum genügend Tassen für alle vorhanden sind.

Die junge Taiwanesin Quinn ist heute eine der ersten. Sie hat den Regenschutz über ihrem Rucksack ausgebreitet und steht gestiefelt und gespornt bereit. Nicht dass es regnen würde. Sie schützt ihren Rucksack damit vor dem Staub. Und vielleicht hält sich auch das Essen darunter länger kühl. Wäre mal auszuprobieren.

Im Dunkeln taste ich mich langsam den Berg hinauf und bemerke einige schattenhafte Gestalten. Das Hufgetrappel verrät mir, dass ich wohl zwischen einige kreuzende Schafe geraten bin. Im ersten Moment frage ich mich erschrocken, ob vielleicht auch ein Hund dabei sein könnte, der seine Schafe gegen den Eindringling verteidigen möchte. Aber die Schafe sind ganz ruhig. Und so beruhige auch ich mich und fühle mich fast ein wenig in die Herde integriert. Wenn mich heute einer fragt, so war dies eine meiner schönsten Begegnungen mit Tieren auf dem Camino.

Gute drei Stunden geht es auf er Anhöhe mit phantastischen Weitblicken. Einer dieser wunderbaren frühen Morgen in stiller Abgeschiedenheit, an denen man sich völlig im Glück fühlt, weil einfach alles perfekt ist. Vor mir sehe ich den roten Regenschutz von Quinn. Rechts von mir in weiter Ferne etwas, das wie ein großer weißer Tempel wirkt. Vielleicht die Ermita de Nuestra Señora de Tebas.

Nach einer weiteren Stunde Gehen treffe ich am See auf die N-630. Allmählich knurrt mein Magen, aber einen lauschigen Pausenplatz gibt es hier nicht. Also wieder mal Zähne zusammenbeißen und weitergehen. Irgendwann halte ich es nicht mehr aus, meine Füße brauchen dringend eine Pause. Das italienische Ehepaar, das ich schon in Alcuéscar getroffen habe, zieht an mir vorbei.

Schließlich setze auch ich mich wieder in Bewegung. Nach fünf Kilometern geht es endlich rechts von der Straße weg, hinauf auf die Hochebene. Die letzten elf Kilometer stehen an. Und jetzt erst beginnt das Martyrium. Denn in der Ferne sieht man schon lange die Häuser von Cañaveral, der Ort scheint zum Greifen nah. Der sichtbaren Entfernung nach zu urteilen, dürfte es ja nicht weiter als noch eine Stunde sein. – Weit gefehlt! Der Weg schlängelt sich nämlich ohne erkennbaren Grund in Schleifen über die Ebene. Nach einer weiteren Stunde – und auch nach zweien – kann ich nicht erkennen, dass ich mich dem Tagesziel deutlich genähert hätte. Frustration macht sich breit. Mein Problem-Zeh am linken Fuß meldet sich mit höllischen Schmerzen. Ich brauche alle fünfzehn Minuten eine kurze Pause. Und als ich endlich Cañaveral erreiche, bin ich so erschöpft, dass ich noch nicht einmal bemerke, wie ich an der heutigen Unterkunft vorbei gehe.

Erst als ich dann doch nach einigem Durchfragen ankomme, sind die Lebensgeister wieder geweckt. Das Hostel Cañaveral befindet sich in einem schönen, neu renovierten Natursteinhaus mit Garten. Es gibt zwei geräumige Schlafsäle und Getränkeautomaten. Leider hat der Supermarkt an diesem Samstag gerade geschlossen und wird auch nicht mehr öffnen. Geschenkt! Noch vor dem Duschen sehe ich zu, dass ich in der nächsten Bar noch ein Mittagessen bekomme, bevor auch hier die Türen bis mindestens zwanzig Uhr zugehen.

Den Großteil des Essens – Reis, Eier und Bohnen mit Speck – verfüttere ich an zwei hungrige Katzen, denen der überreichliche Salzgehalt im Gegensatz zu mir nichts auszumachen scheint. Von meinem Tischnachbarn, einem Franzosen, der mit dem Rad unterwegs ist, bekommen die zwei mageren Kerlchen mindestens nochmal die gleiche Menge.

Ich bin froh, dass die erste der drei langen Etappen in Folge gemeistert ist. Dennoch mache ich mir nach wie vor täglich Gedanken darüber, ob die Vía nicht doch eine Nummer zu groß für mich ist. Aber was hilft’s? Ohnehin kann ich es ja nur herausfinden, indem ich weitergehe.

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