Von Barcelos nach Vitorino dos Piães

Ich wache an diesem Morgen auf mit Lippen, die Filmstar-reif aufgepumpt wirken und kurz vor dem Platzen sind. Sonne, Wind und das Meersalz haben die empfindliche Haut ausgetrocknet. Wir gut, dass Corona-bedingt genügend Mund-Nasen-Masken im Gepäck sind. Das ist der beste Schutz für die geschundenen.

Wir stehen schon in aller Herrgottsfrühe draußen vor der Tür, fertig zum Abmarsch, obwohl wir keinen weiten Weg vor uns haben und nur ins etwa zwanzig Kilometer entfernte Vitorino dos Piães gehen möchten. Caroline, meine französische Bekanntschaft, läuft entschlossen los. Sie hat heute vierzig Kilometer vor sich, und nach dem Stand der Sonne zu urteilen, wird es heute sehr heiß.

Leider habe ich in diesem Moment vergessen, dass ich eigentlich heute früh noch den laut Guide-Buch farbenprächtigsten und vielseitigsten Markt Portugals besuchen wollte, wo wir schon mal das Glück haben, dass wir am richtigen Wochentag an diesem Ort sind. Auch das Hühnerwunder von Barcelos ist mir im Nachhinein, während ich dies schreibe, gar nicht mehr präsent. Aber solche Hühnerwunder tragen sich anscheinend überall auf Jakobswegen zu. Man kennt es vom Santo Domingo de la Calzada auf dem Camino Francés, und sogar auf der Via Regia ist es mir im verganenen Jahr begegnet.

Wer es ist nicht kennt: In aller Regel geht es um den Sohn einer Pilgerfamilie, in den sich eine ansässige Tochter aus reichem Hause unsterblich verliebt. Weil er aber keine Zeit für Romanzen hat und nichts wie weiter will auf seinem Pilgerweg, schiebt sie ihm einen wertvollen Silberbecher oder ähnliches unter und bezichtigt ihn des Diebstahls. Der Arme wird daraufhin erhängt, doch überlebt er wie durch ein Wunder. Der Richter, dem von diesem Wunder Kunde gebracht wird, befindet sich gerade dann bei einem Festmahl, bei dem immer gebratenes Federvieh auf dem Teller liegt. Nun befindet der Richter, dass der Erhängte genauso lebendig sei wie die zwei Hühner oder der Hahn auf seinem Teller, die daraufhin höchst lebendig davon flattern. Oder der Hahn auf dem Teller fängt an zu krähen. So die Legende.

Aber zurück zu unserem Weg. Nicht besonders geistesgegenwärtig folgen wir Caroline und dem Pfeil auf der Route, die unseren Weg heute dann doch nochmal um zwei Kilometer verlängert. Wir begreifen aber erst in Aldão und damit zu spät für eine Umkehr, dass wir auf der Variante zur Abade de Neiva unterwegs sind und nicht auf dem direkten Weg, den wir ursprünglich einschlagen wollten.

Die Sonne brennt heiß, und unter der Maske lässt es sich kaum aushalten. Ich muss mich heute also ganz schon durchbeißen. Bis hinauf zur Abade de Neiva geht es mal wieder über Kopfsteinpflaster über Dorfstraßen, die zum Glück mal nicht von rasenden Autos frequentiert sind. Etwa ab Tamel ist der Weg auf langen Strecken von Olivenbäumen und Weinreben gesäumt, es gibt wenig Schatten. Wir laufen durch Ebene und bieten der Sonne volle Angriffsfläche.

Für heute kommen wir bei Fernanda unter. Weil die Casa Fernanda ein bisschen vor dem eigentlichen Ort Vitorino dos Piães gelegen ist, haben wir den Umweg wieder wettgemacht. Als wir um 15 Uhr vor dem Eingangsschild stehen, könnte ich auf die Knie fallen vor Dankbarkeit. Das Schild weist auf einen schmalen Pfad durch ein schattiges Dickicht aus übermannshohen Sonnenblumen. Während wir in diese Oase eintauchen, hören wir schon die Stimmen von Carlo und seinem fußkranken Begleiter Francesco. Und Fernanda begrüßt uns herzlich und bietet uns erst einmal Wein an. Das ist wohl so Brauch hier, und ich nehme an, der Wein stammt vom eigenen Weinberg. Der Krug wird immer wieder gefüllt. Wir sitzen auf bequemen Sesseln in so einer Art sommerlichem Garten-Wohnzimmer. Es gibt Einzelbetten, irgendwann fängt Fernanda an, draußen in der Küche einen Willkommensgruß aus der Küche zu brutzeln. Es gibt Fisch-Krapfen, Brot, Oliven und Käse. Und das ist noch nicht das Abendessen.

Man kann sich bei Fernanda nur wohlfühlen. Diese Seele von Mensch hat vor Jahren eine Pilgerin bei sich aufgenommen, die völlig entkräftigt und ausgetrocknet von der Hitze an die Häuser geklopft hatte. Ein Bett konnte sie der Pilgerin damals nicht anbieten. Aber die Frau durfte bei ihr auf dem Boden schlafen und musste auch noch ein paar Tage lang wieder aufgepäppelt werden. Ja, die Hitze kann zehrend sein. Mit der Zeit baute Fernanda ihre Unterkunft aus, und heute versorgt sie täglich mit ihrem Mann Jacintho Pilger, die immer wieder bei ihr einkehren. Man hat das Gefühl, sie kennt jeden einzelnen, der sich ankündigt. Und viele kommen schon seit Jahren. Die heimische Facebook-Gruppe Caminho Portugués hat dem „Engel des Caminho“ gar ein Steinmonument gewidmet dafür dass Sie den Pilgern in der Fremde ein Zuhause gibt, sie ernährt und bei Krankheit und Unfällen pflegt.

Für heute macht Fernanda dieser Widmung alle Ehre. Denn es kündigen sich immer noch Spätankömmlinge an, für die es eigentlich keinen Platz mehr gibt. Doch bei Fernanda kommt jeder unter, der ein Dach überm Kopf braucht. Und dennoch wird es nicht eng, und man fühlt sich auch in Corona-Zeiten absolut sicher bei ihr.

Wir sind heute eine internationale Gruppe und dürfen alle zusammen an der langen Tafel in ihrer Küche speisen Heute sind wir drei Deutsche, vier Italiener, zwei davon, wie sich später herausstellt, sind katholische Priester, eine Polin und zwei Tschechinnen.

Ich kann hier gar nicht wiedergeben, was alles an Speisen auf den Tisch kommt. Es ist einfach überwältigend. Und Carlo, ganz Italiener, kapert dazu noch einen Teil der Küche, um italienische Pasta zum üppigen Mahl beizusteuern. Nach dem Essen schickt uns Fernanda mit mehreren Flaschen diverser Digestifs nach draußen in den Garten. Wir sitzen und erzählen und genießen das Leben. Doch lange wird die Feier draußen nicht, denn morgen haben wir einen weiten Weg vor uns. Die Herberge in Ponte de Lima ist wegen Corona geschlossen, und deshalb wollen die meisten die dreißig Kilometer bis Rubiães gehen.

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