Von Rates nach Barcelos

Unsere holländischen Hospitaleros in der öffentlichen Herberge von Rates haben mich gestern ein wenig verunsichert. Anscheinend bewahrheitet sich die Information, dass die öffentlichen Herbergen auf dem weiteren Weg geschlossen sind. Es ist wohl angeraten, Herbergen im Voraus zu reservieren. Für die kommende Nacht ist das schon mal nicht möglich, weil wir keine Telefonnummer der privaten Herberge in der Rua Miguel Bombarda haben, die wir uns für die nächste Nacht ausgesucht haben. Aber es gibt eine Stadtinfo in Barcelos, deshalb mache ich mir erst einmal keine großen Sorgen.

Bei blauem Himmel und Sonnenschein lassen wir die schwere Holztür der Herberge in Rates hinter uns ins Schloss fallen. Das ist immer der Moment, in dem ich die Luft anhalte. Habe ich wirklich alles eingepackt, hab ich an alles gedacht? Doch angesichts der Aussicht auf den Weg ist diese zur Gewohnheit gewordene Sorge schnell verflogen. Auch etwas, das ich den vielen Pilgerwegen verdanke. ‚Wird schon‘, denke ich und überlasse mich dem Lauf der Dinge und dem Weg. Ultreia!

Wir haben heute eine kurze Wanderung von gerade mal siebzehn Kilometern vor uns. Wie so oft auf dem Portgués gibt es auch heute wieder mehrere Varianten. Wir entscheiden uns für den Weg über die Sta. de Franqueira, was uns einen Abstecher bergauf mit atemberaubenden Ausblicken auf Meer und Hinterland beschert. Wind und Lärm der vergangenen zwei Tage sind vergangen und allmählich fühle ich mich wieder im Frieden und angekommen auf dem Weg.

Den ganzen Tag über begegnen uns keinerlei Pilger. Aber als wir den Berg zur Sta. de Franqueira hinauf gehen, saust ein Radfahrer an uns vorbei, bremst mit quietschenden Reifen und macht kehrt. Er spricht ziemlich gut Französisch, weil er lange in Paris gearbeitet hat. Er selbst ist mittlerweile in Rente und wegen der niedrigeren Lebenshaltungskosten nach Portugal zurückgegangen, aber seine Frau und Tochter leben noch in Frankreich. Die beiden wollen wohl nächstes Jahr auch auf den Camino. Er fragt, ob er ein Selfie von uns dreien machen kann, das er den beiden schicken wird. Klar!

Oben angekommen kann ich mich kaum lösen von dem weiten Ausblick auf die Berge im Osten und das Meer im Westen. Sogar ein Café gibt es dort oben. Wir haben Glück und ergattern noch ein kühles Getränk, bevor der Wirt den Laden zuschließt, weil er selbst zur Siesta nach Hause fährt.

Der Weg hinunter nach Barcelinhos führt durch duftenden Eukalyptuswald. Wie ich diesen Geruch vermisst habe! In der Ferne sieht man im Tal schon Barcelos liegen, doch der Weg zieht sich. Das Kopfsteinpflaster ist schwierig für die müden Füße und es ist heiß.

Weil wir noch keine Reservierung für die Nacht haben und auch, weil der Weg direkt dran vorbei führt, machen wir Halt im Tourismusbüro und bekommen dort erst einmal gründlich die Leviten gelesen. Wir hätten wegen der Pandemie die Pflicht, so die Mitarbeiterin, mindestens zwei Nächte im voraus zu reservieren. Die Eindringlichkeit, mit der sie auf mich einredet, erschreckt mich etwas. Erst später, dann nämlich, als die Bundesregierung Portugal zum Virusvariantengebiet erklärt, begreife ich die Aufregung.

Wir kommen für heute wie geplant in der Herberge Rua Miguel Bombero unter; den Schlüssel dafür erhalten wir in der Bar „Café Araújo“ nach einer vorausgegangenen Kunstpause, in der unsere Herbergswirtin mit ernster Miene die Verfügbarkeiten der Betten prüft. Sie macht es wirklich spannend; drinnen angekommen, stellen wir fest, dass die Bleibe weit entfernt ist von einer Auslastung, selbst unter Pandemie-Bedingungen.

Dennoch: Ich hänge mich in der Herberge erst einmal ans Telefon. Der Italiener Carlo stellt mir seine eigene Übernachtungsliste mit Telefonnummern zur Verfügung. Viele Telefonate muss ich nicht führen für die zwei Nächte, und auch auf dem weiteren Weg werden wir keine Schwierigkeiten haben, eine Unterkunft zu finden. Aber der Schreck sitzt.

Heute Abend erleben wir zum ersten Mal in diesem Jahr so etwas wie Camino-Leben. Ich sitze zwei Stunden mit der Französin Caroline zusammen, einer Frau Mitte 50, zäh und drahtig, die allein unterwegs ist und täglich 40-Kilometer-Etappen läuft. Wir könnten Freundinnen sein und ich würde mich freuen, ihr wieder zu begegnen. Aber bei dem Tempo kann und will ich nicht mithalten. Es ist auch gar nicht notwendig, weil wir genügend Zeit haben für den Weg nach Santiago.

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