Das schier Unglaubliche in diesem zweiten Corona-Jahr ist eingetroffen: Gemeinsam mit Bernd sitze ich um die Mittagszeit am Cais de Reibeira in Porto mit Blick auf die berühmte Ponte Dom Luis I und genieße ein leichtes Mittagessen auf der Terrasse des „Casario“, während auf der Praça Ribeira am Ufer des Douro ein Musiker im grünen bodenlangen Rock und mit freiem Oberkörper chillige Bossa Nova-Musik spielt. Hin und wieder gießt er sich einen kräftigen Schluck aus der Whisky-Flasche nach und nippt am Glas. Der Kellner deutet mit dem Kopf zu ihm hin: „Crazy Guy. But he’s a great musician.“ Das hört man. Die Seilbahn schwebt zum Rhythmus der Klänge über das südliche Ufer des Douro. Ich lerne die ersten portugiesischen Wörter von dem überaus netten Kellner.
Endlich wieder ein wenig Abenteuer nach dem langen Lockdown. Der Funke mag noch nicht so recht überspringen. Zu anstrengend war die Woche vor der Einreise, zu viele Ungewissheiten. Zum Schluss dann noch die Ankündigung zwei Tage vor unserem Abflug aus Frankfurt, dass Lissabon übers Wochenende wegen der massiven Ausbreitung der Delta-Variante „abgeriegelt“ würde. Ich habe einen Plan B in der Tasche. Wenn sich die Situation verschlechtert, werden wir nach Spanien fahren und dort den Camino gehen. Ein Abstecher nach Finisterre wäre dann auch drin.
Aber heute bin ich müde und es mag trotz der Schönheit dieser Stadt keine Begeisterung aufkeimen. Dabei möchte ich mich so gerne hineinfallen lassen in dieses Leben. Endlich mal wieder ein Leben!
Was auffällt. Die Menschen hier in Porto sind unwahrscheinlich zugewandt, wissbegierig, aufgeschlossen und von einer natürlichen Selbstverständlichkeit. Sie möchten einem das Besondere ihrer Stadt nahebringen, ohne aufdringlich zu sein. Es ist mein erstes Mal in Portugal.
Gegenüber in Vila Nova de Gaia, da wo die großen Namen der Portwein-Kellereien prangen, dort ist im August 2020 die World of Wine eröffnet worden. Das Zentrum, das sich als kulturelle Begegnungsstätte versteht, befindet sich in einer renovierten Kellerei. Dahinter steht ein britisches Unternehmen. In traditioneller Umgebung wurde hier ein modernes und offenes Ambiente geschaffen, es gibt Restaurants, kleine Boutiquen mit handgefertigten heimischen Produkten, eine Weinschule und auch ein Museum, in dem man lernen kann, wie Schokolade hergestellt wird. Und wo man darüber hinaus auch köstliche Schokolade kaufen kann. Alles, was es hier gibt, atmet eine einzigartige Qualität und individuelle Note. Von der Dachterrasse im vierten Stock hat man einen unglaublich schönen Blick über die Stadt.
An den Kacheln kann ich mich gar nicht satt sehen. Häuser und öffentliche Gebäude sind damit nicht etwa einfach verziert. Die Kacheln, die man wegen der Blautöne auch Azulejos nennt, sollen vor Hitze schützen.
Nach einem halben Tag in Porto kommt schließlich doch so etwas wie Begeisterung auf. Wenn auch vorerst etwas gedämpft wegen der vielen Eindrücke. Nach dem langen Winter und der vielen Zeit zu Hause in den eigenen vier Wänden fühle ich mich erstmal von der Wucht der vielen Wahrnehmungen überfordert. Hier will ich auf jeden Fall irgendwann noch einmal mehrere Tage verbringen.
Am nächsten Tag soll es losgehen auf dem portugiesischen Jakobsweg nach Santiago de Compostela, zuerst für anderthalb Tage am Atlantik entlang. Ab Vila do Condes halten wir uns dann in Richtung Rates und gehen damit auf dem traditionellen zentralen Weg. Für heute übernachten wir in einem kleinen Hotel, dem Poet’s Inn, das ich ein bisschen wegen des Namens, aber vor allem auch aufgrund der zentralen Lage unweit des Bahnhofs São Bento reserviert habe. Wegen Corona gibt es hier keine persönliche Begrüßung, aber die Schlüssel sind in einem Briefkasten für uns hinterlegt.