Es ist unglaublich, wie schnell vierzig Tage vorbei sind. Gerade fühle ich mich als hätte ich gestern erst mit meinem grünen Fasten begonnen und dann bin ich schon vor zehn Tagen ans Ziel gekommen. Dabei hatte ich mich zwischendurch und auch am Ende noch ein paarmal zu Wort melden wollen. Doch die yogische Grüne Diät hat einiges in mir ans Licht gebracht, dass ich für mich anschauen, verarbeiten und loslassen musste. Und ich bin noch dabei.
Fasten geschieht ja immer auf verschiedenen Ebenen, und die materiellen Dinge sind schnell greifbar. Der Körper stellt sich relativ rasch um auf das veränderte Nahrungsangebot, ein Mehr an Bewegung vertieft die Atmung, die wiederum beim Detoxen unterstützt. Doch das muss nicht bedeuten, dass der Körper auch loslässt. Mein System schien diesmal etwas festzuhalten und ich wurde eine gewisse Schwere einfach über Wochen nicht los. Durch eine manuelle Maßnahme zur Darmreinigung kam zwar einiges in Bewegung, aber erst in der letzten Fastenwoche setzte mit einem Mal eine Verwandlung ein. Ich verlor Gewicht, meine Gelenke fühlten sich frei an, mein Körper wurde um so vieles flexibler. Die ganze Schwere wich geradezu über Nacht.
Die plötzliche Kehrtwende verdanke ich einer anderen vierzigtägigen Yogapraxis, die ich noch während des Grünfastens begonnen hatte, weil mir eines bewusst wurde: Ich kann noch so viele Ballaststoffe und grünes Gemüse zu mir nehmen, doch mein physischer Körper wird nicht loslassen, wenn ich nicht an die Ursachen des Problems gehe. Und die waren eher feinstofflicherer Natur, nämlich im emotionalen und im mentalen Körper angesiedelt.
Wie merkt man das? – Nun, ich denke, wenn die Zeit reif ist, dann bekommt man die Lösung für ein Problem. Für mich ist es so, dass da einer zu mir spricht, den ich als Gott bezeichne. Ich könnte aber auch sagen: Während der Meditation wurde plötzlich ein Satz auf meine imaginäre innere Leinwand projiziert. Ich vertraue dieser inneren Stimme. Früher habe ich sie oft in den Wind geschlagen. Aber spätestens seit meinem Camino in 2017 vertraue ich mich dieser Führung bedingungslos an.
Damals wusste ich nach zwölf Tagen gemeinsamen Camino-Lebens mit meiner neu gewonnenen Pilgerfamilie, dass ich allein weiter musste, wenn ich wollte, dass irgendwas in meinem Leben anders werden soll. Und ich hatte damals den großen Wunsch, alles zu verändern. Von Grund auf. Also brach ich von Burgos aus allein auf und lief meinem schrecklichen Abschiedsschmerz an einem stürmischen Tag davon. Den ganzen Tag lang machte ich mir Vorwürfe, dass ich mich ausgerechnet in der Meseta von meinen Gefährten lossagen musste. Vierzig Kilometer hatte ich abends in den Beinen. Und nachdem es den ganzen Abend in mir getobt hatte, fand ich am Abend an einem Ort namens „Hospital del Alma“ meinen Frieden. Die „Heilklinik für die Seele“ ist weit entfernt von dem, was man unter einem solchen Ort versteht. Sie befindet sich in Castrojeriz direkt am Jakobsweg. Davor steht ein grünes Fahrrad und lädt die Vorrübergehenden zum Verweilen ein.
Durch die Tür tritt man ein in eine völlig entrückte Welt. Von irgendwoher klingt leise Meditationsmusik, an der Wand hängen wunderschöne kontemplative Fotografien vom Camino, überall gibt es Sofas und Sessel. In einer Ecke kann man Öle aus Heilkräutern kaufen und das Geld dafür in eine danebenstehende Dose legen. Dieser Ort wurde von dem Italiener Mau und der Spanierin Nia geschaffen. Ich habe die beiden damals dort nicht angetroffen und auch sonst niemanden. Aber das war wohl genau richtig für mich. Niemand verwickelte mich in ein Gespräch. Ich durfte einfach nur da sein und zur Ruhe kommen. Und mit dem Frieden kam auch die Gewissheit wieder, dass ich genau hier und genau in dieser Situation, nämlich allein, absolut richtig war.
Ich hatte viele solcher Momente auf dem Camino. Und ich habe solche Momente auch während meiner Yogapraxis. Yoga, das ist für mich der innere Pilgerweg, wenn ich nicht auf dem Camino oder sonst einem Pilgerweg sein kann. Und dieser Weg führt mich direkt zu meinem „Hospital del Alma“, meinem heilsamen Ort für die Seele.