Weite Blicke, sattes Grün und ein unendlich wirkender Himmel. Das ist es, was man auf den ersten beiden Etappen des Lahn-Camino zu sehen bekommt. Die Wegetappen zwischen Wetzlar und Villmar sind absolut bezaubernd. Der Blick schweift automatisch in die Ferne, genau das Richtige, um die Enge zu überwinden, die uns Corona in den letzten Monaten beschert hat. Beinahe vor meiner Haustür verläuft dieser Camino und erstreckt sich über etwa einhundertfünfzig Kilometer zwischen dem Dom in Wetzlar und der Hospitalkapelle St. Jakobus in Lahnstein, wo die Lahn in den Rhein mündet.
Der Weg deckt sich in weiten Teilen mit dem Lahn-Höhenweg und führt zuerst einmal recht selten direkt an der Lahn entlang.
Und wer jetzt bei dem Wort „Höhenweg“ aufmerksam genug ist, wird sich denken können, dass es dort, wo Höhe ist, auch ein Auf und Ab auf dem Weg gibt. Und das ist tatsächlich so. Ganz einfach ist der Weg nicht, und allein die Länge der Tagesetappen wäre schon Herausforderung genug; in zwei Tagen haben wir sechzig Kilometer zwischen Wetzlar und Villmar zurückgelegt.
Der Weg der ersten Etappe von Wetzlar nach Weilburg führt über Braunfels mit seinem mächtigen Schloss, das noch heute im Familienbesitz der Grafen zu Solm-Braunfels ist. Ein kleiner Anklang an meine wegen Corona gestrichene Texas-Reise. Denn 1845 gründete Carl Prinz zu Solms-Braunfels im Auftrag des Mainzer Adelsvereins – des Vereins zum Schutze deutscher Einwanderer in Texas – den Ort New Braunfels. Wäre ich jetzt in Texas, wie geplant, dann hätte mein Weg mich übermorgen genau dort durch das neue Braunfels geführt. Womöglich hätte ich es gar nicht so recht zu schätzen gewusst. Jetzt wird der Name „Braunfels“ auf einmal zum verbindenden Element. Das deutsche Pendant würde ich meinem Freund Keith gerne mal zeigen.
Wir haben bis kurz hinter Braunfels, wo man nochmal einen schönen Blick auf das Schloss hat, bereits fünfzehn Kilometer zurückgelegt und rechnen eigentlich nur noch mit weiteren zehn. – Doch weit gefehlt! Nach einer guten Stunde, in der wir so um die vier Kilometer gegangen sind, treffen wir auf ein Hinweisschild „Weilburg – 13 km“. – Die Hoffnung, es könnte sich dabei um eine Wegalternative handeln, wird unbarmherzig durch den nächsten Wegweiser drei Kilometer weiter zunichte gemacht. So ganz glauben mögen wir es da immer noch nicht. Doch am Ende der ersten Etappe schlurfen wir nach 32 Kilometern müde über die Lahnbrücke zum Weilburger Bahnhof.
Am nächsten Morgen geht es genau von hier weiter nach Villmar. Wir drehen erst einmal eine Runde durch die Weilburger Schlossgärten hoch über der Stadt, bevor wir am Lahnufer einige Kilometer auf dem Radweg gehen, um danach ins Weiltal abzubiegen. – Von wegen Lahn-Camino! Wir gehen jetzt erstmal eine ganze Zeitlang an der Weil entlang bis Freienfels. Dort treffen wir auf einen freundlichen Menschen, von dem wir viel über die Gegend erfahren.
Freienfels, so höre ich zum ersten Mal, hatte bis noch im vergangenen Jahr regelmäßig Ritterspiele ausgerichtet, so richtig mit Wettkämpfen und bis zu viertausend Gästen aus aller Welt. Die Einnahmen dienen der Erhaltung der Burg. Leider fehlt der Nachwuchs, und dieses Jahr ist wegen Corona sowieso nichts zu machen. Außerdem spitzen wir die Ohren für weitere Hinweise zu Highlights auf dem Weg, wie die Pilzfarm Noll, wo man sonntags Kaffee und Kuchen bekommt oder natürlich auch ein leckeres Pilzgericht, oder aber das Atelier des Künstlers Bombolo in Villmar-Langhecke.
Am Ende dieser Etappe sind aus den ursprünglich geplanten vierundzwanzig Kilometern dann doch achtundzwanzig geworden. Aber die waren gespickt mit neuen Perspektiven, Weitsicht und mit neuen Entdeckungen in der unmittelbaren Umgebung.
Heimat neu erschlossen.
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