Unerschütterliches Vertrauen

Noch etwa fünfzig Tage bis ich mich nochmal aufmache von Santander nach Santiago. Die Zeit rast in diesen Tagen nur so dahin. Es gilt noch viele Projekte abzuschließen, bevor ich mich ruhigen Gemüts auf den Weg machen kann. Die Anspannung steigt.

Mit dem Frühling zieht es mich auch wieder raus, auf die Walz. Ich sag das gerne so, weil das Vagabundenleben etwas ist, das mich magisch anzieht, seitdem ich das Kinderbuch „Rasmus und der Landstreicher“ von Astrid Lindgren gleich mehrfach hintereinander verschlungen habe. Wer es nicht kennt: Rasmus ist ein Waisenjunge, der sich nichts sehnlicher wünscht, als adoptiert zu werden. Doch wenn immer das Heim, in dem er lebt, Besuch von Ehepaaren bekommt, die sich ebenso sehnlich ein Kind wünschen, geht er leer aus. Eines Tages beschließt er, selbst aktiv zu werden und sich auf eigene Faust Eltern zu suchen. Er büxt aus dem Heim aus und begegnet dem Landstreicher Oskar. Gemeinsam mit ihm besteht er viele Abenteuer. Und am Ende stellt sich heraus: Oskar hat ein Zuhause, ein Haus und eine Frau. Er ist nur den Sommer über auf der Walz. Im Winter zieht es ihn zurück an den heimischen Herd. Rasmus hat seine Eltern gefunden. Happy End.

Das Thema des Losgehens, um sein Glück zu finden, kommt in vielen meiner Kindergeschichten vor. Doch diese hat sich ganz besonders bei mir eingebrannt. Dabei kann ich immer noch nicht genau beschreiben, was genau mich auf den Camino zieht. Ich glaube, Kinder wissen das um so vieles besser. Als Erwachsene verbieten wir uns das Wünschen. Zu oft haben wir schon erlebt, dass die Kraft, die unsere Geschicke in der Hand hält, über unsere Pläne lacht. Insofern mache ich auch keine. Jedenfalls nicht für den Camino. Ich glaube fest daran, dass sich mein Camino vor mir offenbart.

Der Weg wird, wie auch im vergangenen Jahr, ganz von allein zu mir sprechen. In dem Moment, in dem ich einen Fuß vor den anderen setze, habe ich schon alles getan, was es braucht. Ich habe ein Ziel und ich bewege mich vorwärts. Dann ist es auch vollkommen unerheblich, ob zu Hause noch angefangene Projekte auf Erledigung warten. Es zählt nur das Staubkorn, das auf dem Weg liegt und der Abdruck, den ich darauf hinterlasse.

Mein Camino-Freund Keith aus Texas hat mir neulich etwas wieder in Erinnerung gerufen, was so elementar ist für uns, die wir alle auf irgendeinem Camino unterwegs sind: Solange Du mit beiden Beinen auf der Erde stehst, bist Du unerschütterlich fest verwurzelt. Doch sobald Du einen Fuß vor den anderen setzt, fängt die Sache an, kippelig zu werden. Um voranzukommen, musst Du das Risiko eingehen, das Gleichgewicht zeitweise auf einem Bein zu halten. Immer mit der Gefahr, dass Du es nicht halten kannst.

Ein Schritt ist ein klarer Akt unerschütterlichen Vertrauens.

1 Kommentar

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..