Taq 22: Foncebadón – Ponferrada (13.06.2017)

Die Szene im Morgengrauen am Cruz de Ferro prägt sich mir ein. Bewegende Bilder von Menschen im Gebet. Manche wirken erleichtert. Das Eisenkreuz, an dem jeder Pilger seine Last symbolisch niederlegt, berührt mich sehr. Der Steinhügel ist hoch. So viele Hoffnungen und Sorgen, so viel Schmerz wird an diesem Ort sichtbar! Ich setze mich ein wenig abseits und lasse die Szene auf mich wirken. Meine Last hab ich am Abend zuvor dort schon niedergelegt.

Beim Weitergehen treffe ich Morris, den Maler aus England, der heute schon ganz früh hergekommen ist, um sich von den Szenen inspirieren zu lassen. Unverhofft bekomme ich noch eine kleine Englisch-Lektion. Morris ist nämlich nicht nur Travel Artist sondern auch Englisch-Lehrer. Den richtigen Gebrauch von Past und Present Tense vergesse ich hoffentlich nicht so schnell wieder. „Schick mir mal ’ne Mail, wenn Du in Santiago bist! Nix Großes. So was wie ‚Hey, I’m there, I survived.’“ gibt er mir zum Abschied mit auf den Weg. Das lässt sich wohl einrichten.

In Manjarín, wo Tomás sich um die Pilger kümmert und Übernachtung und Essen gegen Spende anbietet, sieht noch genauso aus wie vor elf Jahren. Verfallene Häuser am Straßenrand. Wegweiser und Kilometerangaben für weit entfernte Orte, die einen Bezug zur Welt da draußen herstellen.

Manjarín

Weiter geht’s nach El Acebo. Dort bekomme ich heute mein erstes Frühstück. Hier treffe ich auch Flavio und Lorena. Diese kleinen Pausen gemeinsam mit anderen Pilgern sind mir ebenso viel wert wie das Gehen. Auch wenn ich viel allein unterwegs bin, habe ich immer wieder Anknüpfungspunkte. Ich fühle mich als Teil dieser großen Gemeinschaft.

Es geht steil bergab über einen schmalen, felsigen Pfad nach Molinaseca. Ich überhole Francesco und seine italienischen Pilgerfreunde. Sie sind mir heute ein bisschen zu laut, aber ich komme nicht so recht von ihnen weg. Francesco heftet sich an meine Fersen, und wir versuchen so etwas wie eine Unterhaltung. Er spricht Italienisch mit mir, ich versuche mein Glück auf Englisch. Die Unterhaltung verkürzt mir den steilen Pfad nach unten und lässt ihn weniger mühevoll erscheinen. Der Weg führt mich heute von einer Höhe von 1.500 Metern hinunter auf 600 Meter über dem Meeresspiegel.

In Molinaseca angekommen, flüchte ich vor einem heraufziehenden Gewitter in die nächste Bar. Der Regen ist nicht von langer Dauer. Roger treffe ich am Ortsausgang in einer Hotelbar. Er hat sich angesichts des drohenden Unwetters hier für heute eingemietet. Mich erwartet heute ein Hotelzimmer in Ponferrada, das ich am Vormittag gebucht habe.

Ganz allein für eine Nacht in ein Hotel zu gehen erweist sich als belastend. Ich fühle mich unwohl und einsam ohne den Kontakt zur Pilgergemeinschaft. Deprimiert ziehe ich durch die Straßen, besichtige lustlos die Templerburg aus dem 12./13. Jahrhundert. Ich treffe niemanden zum Reden. Fühle mich fremd, fast ausgestoßen und sehne mich nach meiner Pilgerfamilie. Irgendwo in einem Kaufhaus erstehe ich ein neues T-Shirt als Ersatz für mein durchlöchertes Shirt, von dem ich mich aber doch nicht trennen mag, weil ich es auf dem ersten Teil meines Weges gekauft habe. Und ich frage mich heute, warum ich die Gesellschaft gegen das Alleinsein eingetauscht habe.

Mitten hinein in meine traurige Betrachtung und meine Zweifel platzt eine Mail von Ricky, der sich nach unserem Abschied in Burgos zu Hause für einen Yoga-Kurs angemeldet hat. Ein bisschen Heimat und gute Erinnerungen an vergangene Zeiten vom ersten Drittel des Camino. Eine Freundin von zu Hause schreibt mir über Facebook. Und auf einmal habe ich wieder einen Plan, bin bereit für neue Horizonte. Nach dem langen Gehen alleine werde ich mir wieder eine Familie suchen. Ich bin bereit weiterzugehen.

1 Kommentar

  1. Hallo Katja Hanel, El Acebo ist meine zweite Heimat geworden, denn ich habe in mehreren Jahren eine Woche vor Ostern die Pilgerherberge Santiago als Hospitalero betreut. Landschaftlich ist es sehr schön dort oben mit dem weiten Blick nach Ponferrada. Dort habe ich immer noch Freunde, die durch die Pandemie keine Einnahmen haben, denn die Pilger fehlen. Wenn man ins Seitental hinabläuft, erlebt man abseits vom Pilgertourismus die Gastlichkeit der Spanier besonders. Wünsche weiterhin einen guten Weg. Herzl. Gruß! K.G.H.,

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