Tag 8: Logroño – Nájera (30.05.2017)

Ventosa

Die Nacht zu viert im Zimmer war angenehm und ruhig. Wir schälen uns am frühen Morgen aus den Betten. Der Tag empfängt uns mit einem Frühstück, das wir gestern Abend in der Herberge für uns bezahlt haben, weil uns sechs Uhr früh genug erschien. Es gibt einen Kaffee-Vollautomaten, an dem man sich bedienen kann, einzeln verpackte Brotscheiben, Butter, Marmelade. Das hat ein bisschen was von Krankenhaus, ist aber besser, als mit leerem Magen loszumarschieren.

Ich sitze am Tisch und schaue mich um. Es ist schon ein ziemliches Gewusel im Gange. Unwillkürlich muss ich lächeln. Die meisten Pilger sind mit der Begutachtung ihrer Füße beschäftigt: Blasen und Druckstellen müssen versorgt werden. Ich selbst bin davon bislang verschont geblieben. Dafür plage ich mich nach wie vor mit meinem viel zu schweren Gepäck. Direkt neben mir wirft sich einer seinen kleinen Rucksack auf den Rücken. Er hat gerade mal sechs Kilo dabei, nur halb soviel wie ich, wenn ich noch zwei Liter Wasser geladen habe. Seine Frau kommt dazu und empfiehlt mir, mir einen neuen Rucksack zuzulegen und einiges zurückzulassen. „So kommst Du nicht in Santiago an!“ unkt sie. – Sie hat ja keine Ahnung davon, dass ich zuweilen stur wie ein Muli sein kann.

Beim Frühstück eröffne ich meiner Camino-Familie, dass ich heute auf jeden Fall allein gehen werde. Das Tempo gestern war mir viel zu schnell. Ich will heute so nicht mehr rennen. Der Tag gestern hat mich sehr angestrengt. Ich will mein eigenes Tempo gehen. Wir verabreden uns aber für den Abend in Nájera, 30 Kilometer von hier.

Vor den anderen verlasse ich die Albergue und wühle mich durch die Stadt. Der Weg ist weiterhin gut ausgeschildert. Ich folge immer der Muschel und den gelben Pfeilen und bin dankbar für die gute Wegführung. Es kommt im Grunde so gut wie nie eine Unsicherheit auf, wo es weitergeht. Die Spanier haben hier wirklich ganze Arbeit geleistet. Du musst niemals stehen bleiben, um dich zu orientieren, kannst einfach deinem eigenen Schritt folgen und dich ganz deinem Innenleben hingeben, ohne Unterbrechung. Phantastisch!

Als ich aus der Stadt raus bin und mich in Richtung Naherholungsgebiet bewege, drückt mich mein Rucksack einmal mehr. Ich habe nicht gut gepackt heute früh. Also halte ich an, zerre alles raus, das Schwere nach unten und im Rücken, das Leichte nach oben und außen. Dennoch: Das Gewicht ist weiterhin belastend. Während ich mich mit meinen paar Habseligkeiten abmühe, überholen mich Lorena, Flavio, Ricky und Roger. Ich hab die Nase voll. Seit acht Tagen mühe ich mich mit dem schweren Ballast ab. Jetzt endlich bin ich soweit, dass ich ernsthaft in Erwägung ziehe, mich von überflüssigem Ballast zu trennen. Meine schwere Regenjacke werde ich nach Hause schicken und ebenso meinen Schlafsack, sofern ich Ersatz finde. Wenigstens ein Kilo werde ich wohl so los. Ob das einen großen Unterschied macht, weiß ich nicht. Aber ein Anfang ist es allemal.

Irgendwo kurz vor Navarrete ist auf einmal Ricky wieder hinter mir. Im Ort gönne ich mir einen Café con Leche und eine Banane. Ricky gesellt sich zu mir. Gemeinsam setzen wir den Weg in gemäßigtem Tempo fort. Es ist heute wieder trocken und warm, ich genieße das langsamere Tempo und bin aufmerksam für die Schönheit am Wegesrand: blühende Malven, Kamillen, Disteln. Eine bunte Vielfalt zwischen Mandelbäumen, Olivenhainen und Maulbeerbäumen.

In Ventosa kehren wir in das erste Café am Platz ein. Es gibt Grüne Smoothies, Salat, Bocadillos. Ich bin heute so entspannt, dass ich mein Portemonnaie auf dem Tresen liegen lasse. Zum Glück passt Ricky auf.

In Nájera entscheiden wir uns für die private Herberge Puerta de Nájera nahe des Flussufers, ein schön eingerichtetes Haus mit nur 26 Betten. Wir sind nicht die einzigen und ergattern die letzten zwei Schlafplätze. Lorena und Flavio, die nach uns ankommen, werden auf ein Ausweichquartier verteilt. Unser Vierbettzimmer teilen wir uns mit einem Ehepaar aus Dänemark: Er ist Däne, sie ist Inderin, beide sehr offen und herzlich. Weil sie aufgrund einer Sehnenentzündung große Schmerzen beim Gehen hat, entschuldigen sie sich gleich dafür, dass sie um vier Uhr aufstehen werden, um die nächste Wegstrecke von zwanzig Kilometern zurückzulegen. Wir werden am nächsten Morgen überhaupt nicht bemerken, dass sie das Zimmer verlassen.

Der Ablauf nach dem Gehe an einem Pilgertag ist immer gleich: Sobald du dein Bett hast, wäschst du dir erst einmal unter der Dusche den Staub von der Haut, dann sind die Kleider dran. Du kannst dich entscheiden zwischen Handwäsche und Maschinenwäsche. In jeder privaten Herberge gibt es mittlerweile eine oder auch zwei Waschmaschinen und auch Trockner. Für die Handwäsche nehme ich die Kernseife, die ich auch für die Körperwäsche benutze. Kein Luxus, aber Gewicht-sparend.

Nach der Erledigung des Haushalts machen Ricky und ich uns auf den Weg durch die Stadt. Er sucht Flip-Flops, ich benötige einen Leinenschlafsack und eine leichte Regenjacke. Irgendwo im Ort begegnen uns Roger und Beat. Gemeinsam schlendern wir durch die Gassen, kaufen Schokolade und ein bisschen Obst und entdecken tatsächlich einen Outdoor-Ausrüster. Dort finde ich eine superleichte Regenjacke. Bin mir nicht ganz sicher, ob sie nicht ein bisschen eng ist, und ganz froh, dass ich drei kompetente Berater dabei habe. Ricky signalisiert mir mit erhobenem Daumen, dass die Jacke gut ist. Aber erst nach Einholen einer zweiten Meinung von Beat und Roger fühle ich mich endgültig bestätigt. Jetzt brauche ich nur noch einen leichten Schlafsack. Doch damit kann der Laden leider nicht dienen.

Während sich Ricky, Beat und Roger mit Lorena und Flavio im Café treffen, mache ich mich auf die Suche. Ich stoße auf ein Angelgeschäft. Der Inhaber klärt mit mir schon mal die spanischen Begrifflichkeiten. Ich müsse nach einem „saco de dormir fino“ fragen. Ich bitte ihn, mir das aufzuschreiben. Das Sportgeschäft, das er mir empfiehlt, führt so etwas nicht. Dort sagen sie mir, ich soll zum Asiaten um die Ecke gehen, der zugegebenermaßen so ziemlich alles führt, aber nicht das, was ich brauche. Muss ich eben morgen weitersuchen.

Der Tag in Nájera geht zu Ende wie immer: mit einem gemeinsamen Abendessen unter Freunden, Erzählungen der Tageserlebnisse, viel Lachen und Glücklichsein.

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