Himmel und Erde scheinen sich zu treffen auf dieser schönen Etappe, irgendwo zwischen Dozón und Estación de Lalín. Nur drei Tagesetappen vor Santiago bin ich voller Vorfreude und fühle mich in der Tat dem Himmel schon sehr viel näher. Vorerst. Doch wie so häufig, entwickelt sich der Tag ganz anders, als ich es noch am Morgen erwarte.
Bei goldener Morgendämmerung – Götterdämmerung – verlasse ich das Klostergelände von Oseira und kraxele schwitzend den steilen Abhang hinauf. Der Weg bis O Castro Dozón ist beschwerlich: zu feucht, zu kalt, zu glitschig. Immer wieder zwingen enge Fußpfade die Pilger durch kniehohes nasses Gras, gefolgt von steilen Abhängigen über rutschige Felsen. Beinahe freut man sich über Teerstraßen, weil sie das Vorwärtskommen angenehmer machen und man dort auch einen Blick über das Land wagen kann, wo man sonst konzentriert einen Fuß vor den anderen setzen muss. Die ganze Zeit über folge ich Fußspuren eines Hundes. Riesige nasse Tatzenspuren auf Asphalt, die vermutlich von einem der hier augenscheinlich so verbreiteten Rasse Mastín Español stammen. Die Spuren sind frisch, aber ich kann nirgendwo einen Hund entdecken.
Als ich einen weiteren Abgrund über Felsen erfolgreich hinter mich gebracht habe, werde ich vor einem Bauernhof von einem Zähne fletschenden Mischlingshund etwa von der Größe eines zierlichen Schäferhundes empfangen. Ich schaue mich suchend um, aber es gibt keine Möglichkeit, den Hof großräumig zu umgehen, wenn ich nicht wieder den Abhang hinauf will. Hilfe erwarte ich von dem Hof ebenfalls nichts, also klemme ich meine Stöcke als Abstandshalter unter die Schultern und sichere mich nach hinten ab. Das Biest ist nicht gewillt, mich einfach durchzulassen und kommt mir gefährlich nahe, als ich mich schon fast in Sicherheit wähne. Ich brülle aus Leibeskräften und schließlich erbarmt sich im Hof jemand, den Köter zurückzurufen, so dass ich meinen Weg unbehelligt fortsetzen kann.
In A Xesta trabt mir das Tier entgegen, zu dem die Riesentatzen gehören. Dahinter winkt mir Quinn zu. „Er hat mich vom Kloster Oseira an begleitet“, sagt sie und schüttelt beinahe ungläubig den Kopf. Es wirkt fast so, als wollte er sie vor dem bissigen Köter beim Bauernhof beschützen. Jetzt scheint er sich wieder auf den Heimweg zu machen. Ich habe keinen Zweifel, dass es wohl genau so war. Ich selbst habe es schon einige Male auf verschiedenen Caminos erlebt, dass mich Hunde für einige Stunden oder sogar einen halben Tag begleitet haben. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie mir den Weg zeigen.
Doch heute habe ich kein Glück mit Hunden. Überall scheinen an diesem Tag Monster zu lauern, die zähnefletschend und wütend hinter hohen Zäunen und Mauern oder an viel zu kurzen Leinen ein tierisches Gebrüll anstimmen. Wenigstens bleibt mir eine weitere Begegnung mit einem freilaufenden bösartigen Hund auf dem weiteren Weg erspart.
Abgesehen davon fühlt sich der Weg heute ein bisschen wie Urlaub an. Ich habe zwar etwa 27 Kilometer zurückzulegen, aber es gibt jede Menge Möglichkeiten einzukehren. Die Bar von O Castro Dozón kenne ich bereits. Dort wählt sich mein Handy mal wieder ganz von allein ins Wlan ein. Es ist ein wenig laut an diesem Morgen. Am Sonntagmorgen treffen sich die Männer des Dorfes wohl auf eine Art Stammtisch und unterhalten sich lautstark von den Tischen aus mit der Wirtin, so als wären keine anderen Gäste da. Aber immerhin läuft kein Fernseher, was ja in Spanien immerhin auch schon eine Seltenheit ist.
In Estación de Lalín trifft sich meine kleine Camino-Familie mal wieder zum Mittagessen. Die zierliche Quinn sitzt bereits vor einer riesigen Schüssel mit Suppe. Ich frage mich, wo sie das alles lässt. „Katja, you must eat!“ fordert sie mich immerzu auf. Ich bestelle Suppe und Salat, mehr geht nicht an mich. Ich kann keine Eier mehr sehen und schon gar keine Patatas mehr. Quinn ist entschlossen, an diesem Tag noch weitere vierzehn Kilometer bis Silleda zu gehen und hat sich über Booking auch bereits eine Unterkunft gebucht. Gorazd und ich werden nur noch vier Kilometer bis Laxe gehen. Dort gibt es zwar weder eine Bar noch einen Laden, aber immerhin eine Tankstelle. Hunger haben wir ohnehin nicht mehr.
Die Albergue Municipal in Laxe ist bis auf das letzte Bett besetzt. Hier haben wir es zum ersten Mal mit Kurzpilgern zu tun, die sich die letzten einhundert Kilometer bis Santiago geben, um einen anerkannten Pilgerstatus zu erlangen. Die Herberge ist ein merkwürdiger dunkler Betonbau, in dem es ungemütlich kalt ist. Irgendjemand schnarcht ununterbrochen. Ich friere die ganze Nacht durch. Ich sehne mich nach gutem Essen, einem ordentlichen Müsli am Morgen in gemütlicher Umgebung und ein wenig Privatsphäre. Bald schon, bald ist es soweit. Ich fiebere Santiago entgegen.
Ab dem Kloster hat uns auch der große Hund ein gutes Stück begleitet. Bei Kreuzungen hat er den falschen Abzweig blockiert um uns den Weg zu zeigen. In der Herberge zu Laxe hatten wir eine schlimme Nacht, weil wir von Stechmücken gepeinigt wurden. Das Mückenproblem ist in der Herberge bekannt, es wird aber nichts dagegen unternommen.
Katja, vielen Dank für deine schönen Pilgerberichte, ich freue mich schon auf die Fortsetzung.
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Stechmücken, ui. Da hatten wir ja Glück. 😉
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