Von Angeiras nach Rates

Es ist noch ganz still heute früh auf dem Campingplatz Orbitur, als ich aus dem Schlafsack schlüpfe und vor unserem Schlafcontainer ein paar Übungen mache, um in Schwung zu kommen. Wir packen unsere Siebensachen und kehren im nahe gelegenen Café auf Café con Leche und Tostada ein. Beim Blick auf einen der Fernseher, die überall in den Bars im Dauerbetrieb sind, durchfährt mich ein Schreck. Selbst ohne Portugiesisch-Kenntnisse entnehme ich den Meldungen, dass eine Verschärfung der Corona-Regeln im Anmarsch ist. Sofort scanne ich die Reaktionen der portugiesischen Gäste, die aber alle nicht sonderlich beunruhigt scheinen. Das ist sicher nicht einer Gleichgültigkeit zuzuschreiben, denn die Portugiesen nehmen die Maskenpflicht sehr ernst und tragen sie auch dann, wenn eigentlich gar keine Ansteckungsgefahr besteht, zum Beispiel bei Strandspaziergängen allein auf weiter Flur. Ob ich vielleicht die Nachrichten doch falsch interpretiert habe?

Heute wollen wir im neun Kilometer entfernten Vila do Conde den Zubringer auf den traditionellen Weg im Landesinneren nehmen. Unser Etappenziel für heute heißt Rates. Das sind laut Buch nur 21 Kilometer, aber die haben es in sich.

Nur wenige Kilometer hinter Angeiras erreichen wir mit Vila Chã endlich einen netten kleinen Strandort ohne Betonburgen. Es gefällt uns so gut, dass wir gleich eine Pause im Café Sandra einlegen, bevor wir bis Vila do Conde die letzten Kilometer an der Küste entlang zurücklegen. Der Wind, das Salz und die Hitze brennen mir auf der Haut, und ich bin froh, wenn wir endlich landeinwärts gehen können.

Nach einer gepflegten Mittagspause verlassen wir Vila do Conde in Richtung Rates über Touguinha, Touguinhó und Rio Mau. Das Kopfsteinpflaster ist schwierig für müde Füße und auch ansonsten kann ich dem Weg heute nichts abgewinnen. Es ist laut und ungemütlich. Wir springen andauernd zur Seite, weil Autofahrer unbeeindruckt von engen Straßen und Pflastersteinen an uns vorbeirasen. In einer Kurve möchte ein Radfahrer uns ausweichen und wird dabei von den überholenden Autos an eine Mauer gedrängt. In Toughinhó müssen wir gar an der Nationalstraße entlang. Immerhin: Es gibt hier einen leicht erhöhten Gehweg, aber der ist so schmal, dass ich befürchte, von den von hinten heranrollenden LKWs einfach mitgerissen zu werden.

In Rio Mau müssen wir noch fast anderthalb Kilometer an der tosenden Straße entlang, bevor wir an einer Ampelkreuzung endlich nach rechts abbiegen zu einem Friedhof und der romanischen Kirche São Cristovão. Dort ist es endlich still. Erschöpft lasse ich mich auf eine Bank plumpsen und atme erst einmal tief durch.

Die letzten Kilometer bis Rates gehen wir auf einer friedlichen kleinen Straße, vorbei an alten Mauern und Gehöften und stoßen im Eukalyptuswald auf den langersehnten gelben Pfeil; wir sind endlich zurück auf der traditionellen Route.

Das nach dem Hl. Petrus benannte kleine Kirchlein in Rates empfängt uns mit den Worten „Hoffnung säen“. Passt zu Corona, aber auch zu dem nicht enden wollenden Weg heute. Die öffentliche Herberge hier im Ort ist laut Outdoor-Guide die dienstälteste Pilger-Bleibe Portugals und wird von freiwilligen Hospitaleros geführt. Sie soll auch die einzige Herberge bleiben, die im zweiten Corona-Jahr geöffnet hat, aber das mögen wir zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht recht glauben.

In der Herberge erwartet uns ein Hospitalero-auf-Zeit-Ehepaar aus Holland. Wir bekommen Fieber gemessen und einen Schlafsaal für uns allein, weil heute außer uns niemand mehr anklopft. Na klar. Keiner rechnet damit, dass diese Pilgerunterkunft geöffnet ist.

2 Kommentare

  1. Hi,
    ich bin den Português vergangenen Spätsommer in der „Corona-Pause“ gegangen, auch erst an der Küste und dann über Rates den Central. Deine Beschreibungen der ersten Tage kann ich fast zu 100% nachfühlen. Witzigerweise habe ich stellenweise sehr, sehr Ähnliches geschrieben 😅

    Weiterhin Buen Camino!

    Grüße
    Stefan

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